Die Überschuldung von Privathaushalten ist ein Sonderfall innerhalb der Armutsforschung und Armutsberichterstattung. Während es bei den üblichen Herangehensweisen der Armutsmessung um die Geldmittel geht, die Haushalten jeden Monat zufließen (z. B. im Ressourcenansatz und bei der Armutsgefährdungsquote), kommt hier noch ein zusätzliches Element zum Tragen: die Verbindlichkeiten der Haushalte. Das folgende Kapitel befasst sich mit dem Thema Armut, Überschuldung und Schuldnerberatung in Regensburg.
„Also hier bei uns war es so, dass ich sage, das ist, also ich vergleiche das schon gern mit der psychischen Gesundheit, also die wirtschaftliche Gesundheit, das ist genauso das gleiche Standbein, das genauso wichtig ist.“ (FK SB3, Pos. 43)
In einer modernen Geld- und Finanzwirtschaft steht den Individuen eine Vielzahl an Möglichkeiten zu Verfügung, den eigenen finanziellen Spielraum auszuweiten, Kredite aufzunehmen oder anderweitige Verbindlichkeiten einzugehen.1 Diese Form der finanziellen Teilhabe entspricht täglich gelebter gesellschaftlicher Normalität. Die Nutzung von Finanzdienstleistungen kann Verwirklichungschancen eröffnen und ist häufig auch ökonomisch sinnvoll. Neben den klassischen Raten- und Konsumentenkrediten sind mit Plattformen im Internet und Anbietern wie z.B. Klarna (buy now, pay later) vielfältige neue Varianten und Möglichkeiten entstanden.2 Weiterhin haben Haushalte ganz generell Zahlungsverpflichtungen wie Miete, Energiekosten, Gebühren, Abgaben oder Kosten für Internet und Telekommunikation.
Verbindlichkeiten, Kreditraten und andere Zahlungsverpflichtungen werden in der Einkommens- und Armutsforschung häufig nicht erfasst, da es in der Analyse „nur“ um die zufließenden Mittel geht. „Rote Zahlen“ interessieren häufig nicht.
Dies kann zu dem Effekt führen, dass Haushalte statistisch betrachtet durchaus Einkommen über der Armutsgrenze haben, am Ende des Tages aber durch ihre Schulden ganz real unter den Bereich der Armutsgefährdung fallen. Die Nichterfassung der Schulden von Haushalten macht die Analyse von Ver- und Überschuldungsprozessen schwierig, das Dunkelfeld ist entsprechend groß.
Probleme mit Verschuldung entstehen zu dem Zeitpunkt, wenn die Personen oder Haushalte langfristig nicht mehr in der Lage sind, ihre Verbindlichkeiten zu bedienen. Erst dann wird tatsächlich aus Verschuldung Überschuldung:
„Ein Privathaushalt ist dann überschuldet, wenn Einkommen und Vermögen aller Haushaltsmitglieder über einen längeren Zeitraum trotz Reduzierung des Lebensstandards nicht ausreichen, um fällige Forderungen zu begleichen“.3
Ist Überschuldung einmal eingetreten, bleibt den Betroffenen ohne Unterstützung häufig nur ein Leben an der Pfändungsfreigrenze, die knapp über dem sozioökonomischen Existenzminimum liegt. Überschuldung markiert also eine echte Armutslage, die durch Inkassokosten, Verfahrenskosten und Zinsen außerdem die Tendenz hat, über die Jahre zunehmend schlimmer als besser zu werden. Überschuldung wird durch diese Perspektivlosigkeit und die zahlreichen Beitreibungsmaßnahmen von den Schuldnerinnen und Schuldnern als sehr belastend erlebt.4
Die Ursachen für die Überschuldung von Haushalten sind vielfältig. Während landläufig Gründe wie „Geldverschwendung“ und mangelnde Kompetenz im Umgang mit Geld genannt werden, stehen tatsächlich häufig sogenannte „kritische Lebensereignisse“ im Zusammenhang mit der Entstehung von Überschuldung.5 Als Hauptursachen konnte die Forschung über die Jahrzehnte Arbeitslosigkeit, Trennung/Scheidung und Krankheit identifizieren. Mit diesen Lebensereignissen geraten die vorher getroffenen Finanzplanungen der Haushalte aus den Fugen. Die Kredite für Auto oder Haus können nicht mehr bedient werden, Zahlungsverzug tritt ein.
Aber auch unwirtschaftliche Haushaltsführung, Konsumverhalten und Sucht spielen durchaus eine Rolle bei der Entstehung von Überschuldung.
In seinem Schuldenreport für das Jahr 2022 zeigt das iff-Hamburg folgende Hauptursachendimensionen, die sogenannten „Big Six“:
Abbildung 1: Ursachen für Überschuldung

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von iff 20226
Aus Sicht der Überschuldungforschung spiegelt die Liste des iff die bekannten Ursachendimensionen. Auffällig ist über die Jahre allerdings die Zunahme einer Dimension: „Der Anteil von Einkommensarmut als Überschuldungsgrund ist zwischen 2008 (4,79 %) und 2021 (11,15 %) fast kontinuierlich gestiegen“.7
1 Siehe hierzu z. B. Backert, Wolfram 2001: Armutsrisiko Überschuldung. In: Barlösius, Eva; Ludwig-Mayerhofer, Wolfgang (Hg.): Die Armut der Gesellschaft. Leske & Budrich, Opladen, S. 242 – 263.
oder: Brock, Ditmar; Lechner, Götz; Backert, Wolfram 2008: „Restschuldbefreiung und Verbraucherinsolvenz. Probleme und Lösungsansätze bei der rechtlichen Regelung von privater Überschuldung.“ In: Zeitschrift für Rechtssoziologie, 29. Jg., 2/2008, S. 235-260.
2 Schufa 2023: Schufa Risiko- und Kreditkompass (https://www.schufa.de/media/dokumente/risiko-kreditkompass/schufa-risiko-kredit-kompass-2023.pdf; Zugriff: 10.11.2024), S. 5.
3 BMAS 2008: Dritter Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (https://www.armuts-und-reichtumsbericht.de/SharedDocs/Downloads/Berichte/dritter-armuts-reichtumsbericht.pdf?__blob=publicationFile&v=249; Zugriff: 12.11.2024).
4 Zur Pfändungstabelle für das Referenzjahr 2022 (https://www.gesetze-im-internet.de/pf_ndfreigrbek_2022/Pf%C3%A4ndfreiGrBek_2022.pdf; Zugriff: 11.11.2024).
5 Korczak, Dieter/Pfefferkorn, Gabriela 1992: Überschuldung und Schuldnerberatung in der BRD. Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie und Senioren oder die Schuldenreporte des iff (https://www.iff-hamburg.de/startseite/).
6 iff 2022: Überschuldungsreport 2022 (https://www.deutschland-im-plus.de/wp-content/uploads/2022/06/220615_Uberschuldung-2022_Storychart.pdf; Zugriff 12.11.2024).
7 iff 2022: Überschuldungsreport 2022 (https://www.deutschland-im-plus.de/wp-content/uploads/2022/06/220615_Uberschuldung-2022_Storychart.pdf; Zugriff 12.11.2024).
Bei den Regensburger Schuldnerberatungsstellen ergibt sich in der Statistik ein ähnliches Bild wie im Bericht des iff. Allerdings sind in Regensburg nicht Arbeitslosigkeit, sondern entweder Scheidung/Trennung oder eine Suchterkrankung die häufigsten Ursachen für die Überschuldung. Bei den beiden Einrichtungen, die eine entsprechende Statistik führen, belegt das Niedrigeinkommen (oder „Einkommensarmut“) aber auch in Regensburg die Plätze zwei bzw. drei. Der hier verwendete Begriff des „Niedrigeinkommens“ ist nicht sonderlich differenziert. Es handelt sich hier um Niedrig- oder Armutseinkommen im Niedriglohnsektor einerseits, wobei dieser Bereich in Regensburg im Vergleich zu anderen Städten tendenziell sinkt. Andererseits sind hier die Folgen von Reallohnverlusten, gestiegenen Lebenshaltungskosten und hoher Mietbelastungen sichtbar: Eine zunehmende Zahl an Haushalten sieht sich mit Schwierigkeiten bei der Finanzierung des täglichen Bedarfs konfrontiert.
Damit bleiben im Fall der Überschuldung den betroffenen Haushalten häufig keine Einsparmöglichkeiten bzw. freien Einkommensreste, die für eine Regulation der Schulden genutzt werden könnten. Diese erschwert eine dauerhafte Entschuldung zusätzlich (zu Einkommen in Regensburg siehe ausführlich Kapitel Geld und Arbeit – Verfügbares Einkommen je Einwohner).
Die Mitarbeiterin einer Regensburger Schuldnerberatungsstellen beschreibt im Interview die Situation wie folgt:
„Dass das wirklich oft schwierig ist, da noch zu sagen: hey, spar da noch ein, oder brauchst du das? Weil es einfach oft schon so knapp von vornherein ist, dass die ihre laufenden Kosten zahlen, die Sachen, die sie bezahlen müssen für die Existenz“ (FK SB3, Pos. 68; Schwierigkeiten Budgetplanung außerdem FK SB2, Pos. 5 und FK SB3, Pos. 74).
Der genaue Umfang der Überschuldung und die Struktur der Betroffenen ist auf Ebene des Bundes, der Länder und der Kommunen aufgrund mangelnder Daten ebenfalls nicht exakt angebbar. Hier können nur Schlüsse auf Basis der Daten von Schuldnerberatungsstellen oder großer Kreditauskunfteien wie der Schufa oder der Creditreform gezogen werden, die aber nicht den gesamten Umfang des Überschuldungsgeschehens abbilden.
Im letzten Armutsbericht der Stadt Regensburg aus dem Jahr 2011 wurde der Privatschuldenindex der Schufa verwendet; Regensburg belegte damals den Rangplatz 172 (auf der Datenbasis von 2008) und lag im oberen Mittelfeld der 400 Städten und Kreise.8 Im Jahr 2022 erreichte Regensburg Platz 134 mit einem Indexwert von 741 (Bayern 659, Deutschland 872).9 Auf dieser Basis ist laut Schufa das Überschuldungsrisiko für die Haushalte in Regensburg noch als gering einzustufen und hat seit dem letzten Berichtszeitraum leicht abgenommen.
Dies bedeutet nun keineswegs, man könnte hieraus einen geringeren Bedarf an Beratung und Unterstützung ableiten. Denn die Struktur der Klienten und die Komplexität der Beratungsfälle hat sich deutlich verändert.
Im Jahr 2022 hatten die drei sozialen Schuldnerberatungsstellen in Regensburg zusammen 1062 Klientinnen und Klienten.10
Laut Interviews mit den Beratungsstellen vor Ort ergibt sich aktuell folgendes Bild: die Nachfrage nach sozialer Schuldnerberatung ist ungebrochen hoch, gleichzeitig steigt inzwischen die Komplexität der Beratungsprozesse:
„[…] man muss aber auch bedenken, wir brauchen länger für die Leute. Also die kommen einfach mit multiplen Problemlagen. Wir haben vermehrt psychisch Kranke, wir haben einen hohen Migrationsanteil, wir kämpfen mit der Sprachbarriere, das heißt, wir sind viel länger beschäftigt mit den einzelnen Personen. Also das kommt schon auch noch mit dazu“ (FK SB2, Pos. 21).
Zudem berichten die Beratungsstellen über eine stetig steigende Zahl der Gläubiger, was den Beratungsprozess aufwändiger und langwieriger macht. Die zunehmende Belastung der Beratungsstellen führt teilweise zu längeren Wartezeiten. Gleichzeitig entspricht die personelle Ausstattung der Schuldnerberatung in Regensburg nicht dem empfohlenen Stellenschlüssel. Auf Bundesebene empfiehlt die Arbeitsgemeinschaft der Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV) schon seit Jahren: „Es sollten deshalb mindestens zwei vollzeitbeschäftigte Schuldnerberatungsfachkräfte für 50.000 Einwohner zur Verfügung stehen.“ 11 Dieser Wert wird in Regensburg nicht erreicht – verschärfend kommt hinzu, dass die Soziale Schuldnerberatung teilweise den Landkreis Regensburg ebenfalls abdeckt. So haben 38 % der Klienten der Schuldnerberatungsstelle der Caritas ihren Wohnsitz im Landkreis.
Aktuell haben die Beratungsstellen in Regensburg 4,5 Vollzeitstellen und eine Stelle in der Externen Schuldnerberatung in Einrichtungen. Nach dieser Rechnung hat die Stadt Regensburg mit ihren knapp 180.000 Einwohnern einen Bedarf von etwa 7,2 vollzeitbeschäftigten Schuldnerberatungsfachkräften. Aktuell haben die Beratungsstellen in Regensburg jedoch nur 4,5 Vollzeitstellen und eine Stelle in der Externen Schuldnerberatung in Einrichtungen.
Schuldnerberatung ist in den meisten Fällen mit Existenzsicherung verknüpft (z. B. bei Miet- oder Energieschulden). Längere Wartefristen für die Beratung sind daher als problematisch zu erachten.
Was die Zusammensetzung der beratenen Personen betrifft, ist das Geschlechterverhältnis fast ausgeglichen, Frauen sind leicht überproportional vertreten. Als spezifische Risikogruppen in der Schuldnerberatung in Regensburg werden Alleinerziehende genannt, die in der Mehrzahl Frauen sind. Diese machen laut Expertinnen- und Expertenaussagen über 20 % der Klienten in der Schuldnerberatung aus (FK SB1, Pos. 61).
Die Altersstruktur der Klientinnen und Klienten in Regensburg ist ebenfalls vergleichbar mit der Situation auf Bundesebene: Personen unter 19 Jahren sind kaum darunter, denn die Entstehung einer Überschuldung erfolgt meist über einen längeren biographischen Zeitraum und ist in so jungem Alter eher ungewöhnlich. Allerdings beobachten die lokalen Beratungsstellen eine neue Entwicklung: Gerade junge Männer mit Migrationshintergrund geraten aufgrund von Sprachbarrieren und mangelndem Wissen häufiger in die Verschuldung. Hierbei handelt es sich meist um Telekommunikations- und Kreditkartenschulden.
Das Gros der Überschuldeten ist zwischen 30 und 40 Jahre alt, eine weitere sehr große Gruppe stellen die 40- bis 60-jährigen. Die Häufung im mittleren Alter ist ebenfalls typisch: In dieser Lebensphase besteht der höchste Finanzierungsbedarf bei der Verwirklichung von Lebenschancen (Familiengründung, Immobilien) und im Fall des Scheiterns auch das größte Risiko.12
In der Gruppe der Klientinnen und Klienten über 60 Jahre und darüber hinaus befinden sich in Regensburg circa 14 % der Ratsuchenden.13 Dies deckt sich auch mit den Befunden des 9. Altersberichts der Bundesregierung: Nur 8,7 % der Klientinnen und Klienten der Schuldnerberatungsstellen sind auf der Ebene des Bundes über 65 Jahre alt.14 Gerade hochaltrige Seniorinnen und Senioren suchen noch seltener die Hilfe der Schuldnerberatung. Die Regensburger Zahlen decken sich auch hier mit dem Altersbericht und den Ergebnissen des iff:
„Es ist auffällig ist, dass Personen im Rentenalter ab 65 Jahren trotz der weiten Verbreitung von Altersarmut die Schuldnerberatung vergleichsweise selten aufsuchen.“15
Allerdings steigt auf Bundesebene die Verschuldungsintensität mit dem Alter: So trugen überschuldete Personen im Alter von 70 Jahren und mehr mit im Durchschnitt fast 55.000 Euro im Vergleich der Altersgruppen die höchste Schuldenlast. Die Auskunftei Creditreform sieht hier die Gefahr eines Doppeltrends aus Altersarmut und Altersüberschuldung.16
Die geringe Quote älterer Menschen, die in die Beratung kommen, ist also nicht zwingend nur darauf zurückzuführen, dass alte Menschen seltener verschuldet sind als jüngere.17 Die Beratungsstellen in Regensburg sehen die Gründe hier auf einer anderen Ebene: Anders als Jüngere nehmen alte Menschen seltener Hilfe in Anspruch und
„sparen vor sich hin und leben […] in minimalistischen Verhältnissen und kriegen es auch irgendwie hin. Sie kennen ihre Rechte auch nicht, sondern [sind] sehr erstaunt […] wieviel Geld einem bleiben sollte oder könnte, wenn man es dann so macht, wie man es machen kann“ (FK SB1, Pos. 63).
Kommen alte Menschen in die Schuldnerberatung, so steht auch häufig der Wunsch dahinter, keine Schulden zu vererben (FK SB1, Pos. 74). Hier wäre für alte Menschen über vermehrte und bessere Informationen zum Thema Schulden und Entschuldung nachzudenken. Während bei den jüngeren Jahrgängen das Thema „Prävention“ auch von Relevanz sein sollte, ist bei alten Menschen Aufklärung über bestehende Möglichkeiten der Entschuldung und der Abbau von Schwellenängsten geboten.
Wie bereits erwähnt, beschreiben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beratungsstellen eine Zunahme der Klientinnen und Klienten mit psychischen Erkrankungen oder Suchterkrankungen. Die Dimension der Gesundheit spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle.
Schulden sind regelmäßig mit psychischen Problemen verbunden, wobei häufig von Suchterkrankungen, biographischen Brüchen (Trennungen, familiäre Konflikte) und Depressionen berichtet wird. Manche der Regensburger Expertinnen und Experten geben an, dass viele ihrer Klientinnen und Klienten psychisch krank sind:
„Ja, wir haben viel mehr, die eine psychische Erkrankung haben. Ich kriege viel mehr mit, die Suchterfahrung irgendwann gehabt haben. Und wir haben immer öfter Klienten, die mit Begleitung kommen (FK SB1, Pos. 36).“
Psychische Erkrankungen sind nicht notwendigerweise (alleinige) Ursachen der Verschuldung, bremsen aber oft den Weg aus der Verschuldung, so die Expertinnen und Experten (FK SB2, Pos. 137). Umgekehrt wird Verschuldung auch als Ursache für psychische Erkrankungen genannt, da Verschuldete „das eigene Scheitern jeden Tag vor Augen“ haben (FK SB2, Pos. 141).
Die durch Krankheit verursachte Erwerbsunfähigkeit wird auch zum Problem bei der Rückzahlung von Verbindlichkeiten. So verschärft sich laut Interviews die Lage jener, die aufgrund von Erwerbsunfähigkeit auf Sozialleistungen angewiesen sind: „Da gibt es halt keinen Weg, das Einkommen zu erhöhen. Und die sind teilweise noch relativ jung. Und wie sollen die je 3.000, 4.000 Euro zurückbezahlen?“ (FK SB2, Pos. 173).
8 Amt für Stadtentwicklung Stadt Regensburg 2011: Bericht zur sozialen Lage 2011. Quantitative Analyse (https://www.regensburg.de/fm/121/stadt-regensburg-sozialbericht-2011.pdf; Zugriff: 04.01.2025), S. 35ff.
9 Schufa 2023: Schufa Risiko- und Kreditkompass (https://www.schufa.de/media/dokumente/risiko-kreditkompass/schufa-risiko-kredit-kompass-2023.pdf; Zugriff: 10.11.2024), S. 39.
10 Ein Teil der beratenen Personen stammt allerdings aus dem Landkreis, eine genaue Relation lässt sich hier nicht angeben. Folgt man den Zahlen der größten Beratungsstelle, sind mehr als 2/3 der Klientinnen und Klienten Einwohner*innen der Stadt Regensburg.
11 Siehe AG SBV 2011: Finanzierung (https://www.agsbv.de/tag/finanzierung/; Zugriff: 13.11.2024).
12 iff 2023: Überschuldungsreport 2023 (https://www.iff-hamburg.de/ueberschuldungsreport-ergebnisse/; Zugriff: 10.03.2025), S. 31.
13 Die Zahlenbasis ist hier nicht eindeutig. Es wurden nur von zwei Einrichtungen Zahlen gemeldet (N=943), bei diesen Daten gibt es bei der Altersfrage zudem Ungenauigkeiten – die hier genannten Werte können also leichte Abweichungen aufweisen und sind als Näherungswerte zu verstehen.
14 Deutscher Bundestag 2025: Neunter Altersbericht der Bundesregierung. Drucksache 20/14450 (https://www.neunter-altersbericht.de/fileadmin/Redaktion/Bericht_Broschuere_Deckblaetter/neunter-altersbericht-bundestagsdrucksache-data.pdf; Zugriff: 14.01.2025), S. 68ff.
15 Ebd. und auch iff Überschuldungsreport 2024: (https://www.iff-hamburg.de/wp-content/uploads/2024/09/ueberschuldungsreport-2024.pdf; Zugriff: 15.12.2024), S. 41.
16 Creditreform 2023: Schuldneratlas Deutschland (https://www.creditreform.de/aktuelles-wissen/pressemeldungen-fachbeitraege/news-details/show/schuldneratlas-deutschland-2023; Zugriff: 14.01.2025), S. 21.
17 Der Schuldneratlas der Creditreform 2022 und 2023 verweist auch hier auf Probleme in der Gruppe der über 60jährigen. Creditreform 2022: „Die Zahl überschuldeter Personen und die Überschuldungsquote nimmt bei Personen ab 60 Jahren nochmals nur unterdurchschnittlich ab (- 1,8 Prozent; – 21.000 Fälle). Hingegen sinkt die Zahl in den jüngeren überschuldeten Personengruppen deutlich (18 bis 59 Jahre: – 5,1 Prozent; – 253.000 Fälle.
Siehe auch: https://www.creditreform.de/aktuelles-wissen/pressemeldungen-fachbeitraege/news-details/show/schuldneratlas-deutschland-2023; Zugriff: 14.01.2025
Und https://www.creditreform.de/fileadmin/user_upload/central_files/News/News_Wirtschaftsforschung/2022/SchuldnerAtlas_Deutschland/2022-11-15_AY_OE_SchuldnerAtlas_Deutschland_2022.pdf; Zugriff: 14.01.2025
Überschuldung hat gravierenden Auswirkungen auf die Verwirklichungschancen der betroffenen Personen in der Dimension der finanziellen Mittel und darüber hinaus.18
Verschuldete haben oft das Gefühl, nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können: „weil ich muss ja schon schauen, dass ich irgendwo meine Lebensmittel herbekomme und sie zahlen kann“ (FK SB2 Pos. 137). Für weitere soziale Aktivitäten bleibt hier kein finanzieller Spielraum, es droht Exklusion.19
Überschuldung kann eine Vielzahl lebenspraktischer Konsequenzen haben: diese sind z. B. Mietschulden und Räumungsklagen, Energiesperren, Kontopfändungen, Kontolosigkeit und Einträge bei den großen Kreditauskunfteien. Es geht hier im Wortsinn um die Existenzsicherung. Wenn bei Pfändungen z. B. das Konto gekündigt wird, sind die Haushalte vom Zahlungsverkehr ausgeschlossen. Ein Beispiel für die Situation der Kontolosigkeit findet sich in den Betroffeneninterviews:
„Ich kriege kein Bankkonto. Das ist bei mir schwierig gestaltet. Heißt ich bekomme Schecks und dann muss ich immer warten, bis der Scheck da ist. Heißt, ich darf bis in die Stadt reinlaufen auf gut Glück und hoffen; vielleicht, dass der Scheck heute da ist. Vielleicht kommt er auch erst in zwei Tagen. Und das ist immer so ein Katz und Maus Spiel. Das nervt. Aber ich brauche die Kohle. Dann nehm ich das gerne in Kauf.“ (Herr Y, Pos. 30)
Die Vermittlung eines sogenannten P-Kontos ist eine klassische Aufgabe der sozialen Schuldnerberatung, Herrn Y könnte an dieser Stelle also sehr wahrscheinlich geholfen werden.
Eintragungen bei der Schufa oder Creditreform machen den Abschluss von Verträgen (z. B. Handy, Internet) schwierig. Hier besteht das Risiko der Digital Divide oder Digitalen Spaltung, also des Ausschlusses aus der digitalen Welt, wegen Vertragsschwierigkeiten und dem Mangel an technischen Geräten. Die Digitale Spaltung ist in Zeiten der zunehmenden Digitalisierung in allen Lebensbereichen ein wichtiges Thema, gerade auch bei älteren Menschen.
Die Wohnungssuche wird mit einem Eintrag bei den Kreditauskunfteien ebenfalls zu einem Problem, hier berührt die Überschuldungsproblematik deutlich die Dimension Wohnen. Mietschulden können zudem zu Zwangsräumungen und damit zu Obdachlosigkeit führen. Energieschulden können Sperrungen von Strom und Gas zur Folge haben.
Um hier ein konkretes Beispiel zu geben: Im Jahr 2022 wurden vom größten Energieanbieter der Stadt, der REWAG, 45.694 Mahnungen der ersten Stufe ausgesprochen, 6.207 der zweiten Stufe und 3.866 Sperraufträge erteilt. Auf der letzten Ebene, dem konkreten Sperrauftrag, haben die betroffenen Haushalte noch die Gelegenheit, eine kurzfristige Zahlung zu leisten oder eine Vereinbarung zu erzielen. Gelingt dies nicht, erfolgt die tatsächliche Sperrung des Anschlusses.
Dies war im Jahr 2022 bei 1123 Haushalten der Fall. In fast 70 % der Fälle wurde diese Sperrung binnen 24 Stunden wieder aufgehoben.20 Energiesperrungen haben, wie man sich unschwer vorstellen kann, gravierenden Auswirkungen auf die betroffenen Haushalte und werden auch nicht leichtfertig vorgenommen. Der Runde Energietisch Regensburg unter Beteiligung der REWAG, der Stadt, des Landkreises, den verschiedensten Trägern, Initiativen und der Schuldnerberatung kümmert sich zudem intensiv um diese Thematik und stellt eine wertvolle Initiative zur Bekämpfung von Energiearmut dar.
Auch jenseits der materiellen Ebene wirkt sich Überschuldung auf die gesundheitlichen Verwirklichungschancen der betroffenen Personen aus. Studien belegen, dass Krankheit nicht nur eine wichtige Ursachendimension für Überschuldung darstellt, sondern Überschuldung auch zu Erkrankungen führen kann.21 Hier sei nochmals auf die Beobachtung des Zusammenhangs von psychischer Erkrankung und Überschuldung hingewiesen.
Weiterhin sind Auswirkungen auf die familiäre und soziale Integration bis hin zur Einsamkeit festzustellen. Das Gefühl der reduzierten Selbstwirksamkeit, das sich in einer Armutslage einstellen kann, wird im Fall der Überschuldung noch mit der individuellen Scham des finanziellen Scheiterns verstärkt. Die dauernden Beitreibungsversuche der Gläubiger, Mahnschreiben, Inkasso und häufige Anrufe verstärken diesen Prozess zusätzlich. Die Personen kommen nicht zur Ruhe und die Situation erscheint den Betroffenen ausweglos. Unsicherheit und Druck sind an diesem Punkt sehr hoch:
„Und die Belastung. Ich glaube, dass die Belastung wahnsinnig blockiert. Also man sieht es ja dann in der Entwicklung, dass nach der Stabilisierung ein ganz anderes Arbeiten nötig ist.“ (FK SB2, Pos. 137)
Die Wirkung und das Ziel einer gelungenen Schuldnerberatung für die sozialpsychologische Dimension bringt einer der Berater auf folgenden prägnanten Punkt:
„Also hier bei uns war es so, dass ich sage, das ist, also ich vergleiche das schon gern mit der psychischen Gesundheit, also die wirtschaftliche Gesundheit, das ist genauso das gleiche Standbein, das genauso wichtig ist. Und das solide aufzustellen ist eine Grundlage in der Reso-Arbeit.“ (FK SB3, Pos. 43)
Wie kann es den Betroffenen gelingen, sich aus dieser Situation zu befreien? Die erste Möglichkeit ist, die ursprüngliche Schuld und die bereits entstandenen weiteren Kosten, (Zinsen, Inkassogebühren, Gerichtskosten) zu bezahlen. Hierbei unterstützen die Schuldnerberatungsstellen in Regensburg mit der Erstellung von Rückzahlungs- und Haushaltsplänen. Diesen Plänen müssen die Gläubiger allerdings zustimmen, im Falle von armutsbetroffenen Haushalten bleiben aber in der Regel (meist) keine freien Einkommensreste, die hierfür eingesetzt werden können.
Eine weitere Möglichkeit ist das dauerhafte Leben an der Pfändungsfreigrenze: Eine durchaus realistische Option für Haushalte, bei denen keine größeren finanzielle Änderungen mehr erwartbar sind (also z. B. bei Rentnerinnen und Rentnern) und bei denen eine Verbraucherinsolvenz keine Option ist.
Seit dem Jahr 1999 steht überschuldeten Haushalten die Möglichkeit der Verbraucherinsolvenz zur Verfügung. Im Zuge einer europäischen Vereinheitlichung im Jahr 2020 wurde die Dauer des Verfahrens von sechs auf drei Jahre verkürzt, was einen schnelleren Weg in ein schuldenfreies Leben bedeutet. Beim Zugang zu diesem Verfahren wirkt die soziale Schuldnerberatung an zentralen Stellen mit und hilft bei Problemen im Verfahren.
Das Zusammenwirken von Amtsgericht und Beratungsstellen in Regensburg wurde in den Interviews durchgehend als sehr gut und konstruktiv beschrieben. Mit der am Ende des Verfahrens stehenden Restschuldbefreiung können die Schuldnerinnen und Schuldner ein Leben ohne finanzielle Hypotheken beginnen. Die Verfahrenszahlen in Regensburg sind allerdings seit Jahren rückläufig: Wurden im Jahr des letzten Armutsberichts noch 2870 Insolvenzen (mit damals noch sechs Jahren Laufzeit) angemeldet, waren es im Jahr 2022 nur noch 1975 Verfahren (mit bereits verkürzter Laufzeit).22 Woher diese Tendenz kommt, müsste noch näher untersucht werden.
Neben der Existenzsicherung, der Beratung bei der Entschuldung und der Assistenz im Verbraucherinsolvenzverfahren kommt der sozialen Schuldnerberatung noch eine weitere wichtige Funktion zu: die Aufklärung über Risiken und die Prävention.
Finanzkompetenz an Jugendliche zu vermitteln, ist z. B. das Ziel des Projekts des Kontakt e.V.s „LiQuitt“23.
Zukünftig auf breiter Basis Kurse zu Finanzwissen und Schuldenprävention in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen anzubieten, Workshops und spezielle Unterrichtseinheiten durchzuführen, wären als Maßnahmen der Prävention eine gute Investition.
Entsprechende Angebote speziell für migrantische Communities könnten diese Maßnahmen ergänzen. Die Vermittlung von Finanzwissen und die Kenntnis der Beratungsangebote und Hilfen könnten Schuldenprobleme verhindern bzw. bei drohender Überschuldung frühzeitig eine Regulation anstoßen.
Eine weitere Zielgruppe für Aufklärung und Information wären Seniorinnen und Senioren. Mit dem steigenden Anteil alter Menschen in der Gesellschaft und dem zusätzlich zu erwartenden Anstieg der Altersarmut, wird der Anteil ver- und überschuldeter alter Menschen in der Zukunft zunehmen. Eine adäquate Aufklärung über Rechte, Ansprüche und Hilfsmöglichkeiten wäre hier dringend notwendig. Wie bereits erwähnt wurde, ist das Thema Schulden mit Scham verbunden und trägt zur sozialen Isolation bei – Schulden spielen also auch im Kontext von „Einsamkeit“ und der sozialpsychologischen Dimension eine wichtige Rolle und sollten entsprechend berücksichtigt werden.
Eine letzte Gruppe, der in Zukunft erhöhte Aufmerksamkeit zukommen sollte, sind Menschen mit psychischen Erkrankungen.
Schulden und Schuldnerberatung spielen im Zusammenhang mit Armut und Lebenschancen eine große Rolle. Daher ist es wichtig im Kontext der materiellen Armut nicht nur auf die zufließenden Einkommen zu achten, sondern immer auch die Verbindlichkeiten der Menschen im Blick zu behalten. Steigende Einkommensarmut, Altersarmut und Krankheit sind immer auch ein Risiko für Überschuldung. Die Stadt und die soziale Infrastruktur sollten hierauf in angemessener Weise reagieren können. Hierzu gehören ein ausreichendes Angebot an Schuldnerberatung und passende Präventionsprogramme.
18 Ein kursorischer Überblick findet sich unter Backert, Wolfram/Brock, Ditmar/Lechner, Götz/Maischatz, Katja 2009: Bankruptcy in Germany. In: Niemi, Johanna/Ramsay, Ian/ Whitford, William (Hg.) 2009: Consumer Credit, Debt & Bankruptcy. Hart Publishing. Oxford and Portland. S. 286f.
19 In den Betroffeneninterviews wurden häufig finanzielle Probleme erwähnt, Schulden wurden jedoch kaum thematisiert. Dies ist nicht etwa ein Indiz für die Abwesenheit von Schulden, sondern für die Verbindung von Schuld und Scham. Personen für Interviews zum Thema Überschuldung zu gewinnen ist sehr schwierig, dies zeigte sich z.B. auch in den Arbeiten zum Forschungsprojekt „Leben nach Plan“ des Lehrstuhls für allgemeine Soziologie II an der TU Chemnitz.
20 REWAG 2024: Mahnkennzahlen. Daten nicht öffentlich zugänglich, wurden von der REWAG zur Verfügung gestellt.
21 Siehe hierzu z. B. Münster, Eva/Warth Jaqueline/Weckbecker, Klaus 2022: Überschuldung, Krankheiten und medizinische Versorgungsprobleme. iff Überschuldungsradar 32.10/22 (https://www.iff-hamburg.de/wp-content/uploads/2022/11/Ueberschuldungsradar32_Oktober-2022_ueberschuldung-Krankheiten-medizinische-Versorgungsprobleme.pdf; Zugriff: 15.11.2024).
und die lokale Studie des Diözesanverbandes der Caritas in Regensburg aus dem Jahr 2012: Mascher, Kristina/Damberger, Alfred 2012: Schulden machen krank. In: Neue Caritas (https://www.caritas.de/neue-caritas/heftarchiv/jahrgang2012/artikel/schulden-machen-krank Zugriff: 15.11.2024).
22 Amtsgericht Regensburg 2024. Daten nicht öffentlich zugänglich, wurden vom Amtsgericht zur Verfügung gestellt.
23 LiQuitt ist ein Angebot der präventiven und sozialen Schuldner- und Insolvenzberatung für Personen von 14 bis 27 Jahre (Stadt und Landkreis Regensburg).