Dass Armut primär ein Mangel an Geld ist, wurde bereits dargelegt und stellt keine besondere Überraschung dar. Zu zeigen, dass dieser finanzielle Mangel allerdings häufig zu Armut in anderen Lebensbereichen führt, ist ein zentrales Anliegen dieses Berichts. Im folgenden Kapitel wird zunächst untersucht, welche Formen und Ausmaße finanzielle Armut in Regensburg hat und welche Gruppen besonders betroffen sind.
Fehlen, fehlen. Fehlen tut mir meistens nur mein Geld.
(Herr Ü, Pos. 8)
Um zu verstehen, wie die finanziellen Mittel der Stadtbevölkerung mit ihren Verwirklichungschancen zusammenhängen, ist zunächst ein Blick auf die Lebenshaltungskosten in Regensburg notwendig – warum Geld hier, vereinfacht gesprochen, weniger wert ist als in den meisten anderen Städten Deutschlands. Zunächst ist die bundesweite Preisentwicklung, insbesondere bei Lebensmitteln, zu berücksichtigen: Seit 2020 sind die Verbraucherpreise deutlich gestiegen, die Reallöhne hingegen bestenfalls nicht gesunken (siehe Abb. 1).
Abbildung 1: Reallohn- und Verbraucherpreisindex seit 2011

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamts 20241
Bei diesen Entwicklungen stellt die Stadt Regensburg keine Ausnahme dar – im Gegenteil. Das äußerte sich nicht zuletzt in den Interviews mit Betroffenen in der Stadt:
„Und dann frage ich mich: Warum ist es so geworden? Warum wird es immer teurer? Es wird ja nicht billiger. Warum wird es immer teurer? Warum? Das habe ich mich gefragt.“ (Frau B, Pos. 120)
„Dann das Geld zum Leben – die Mieten sind teurer geworden.“ (Frau P, Pos. 108)
So werden bereits alltägliche Besorgungen zu einer existenziellen wie emotionalen Herausforderung:
„Aber 40 Euro ist für unsereins viel, viel Geld. Das kann sich einer nicht vorstellen. Also wenn ich heute einkaufen gehe, dann schaue ich in meinen Einkaufskörbel. Die verlangen von mir 57 Euro. […] Also das ist, wie ich gerade gesagt hab, wenn man dann schaut, was hast du jetzt gekauft, ja, für das Geld. Man hat aber auch wirklich nur das Wichtigste gekauft. Da ist hast du noch nicht mal Obst, oder wenn es gut geht, gar kein Gemüse dabei. Das hast du nicht.“ (Herr H, Pos. 35)
Auch wenn die in den Zitaten skizzierten Realitäten kein Spezifikum des Lebens in Regensburg sind, belegen mehrere aktuelle Untersuchungen, dass Regensburg eine der teuersten Regionen Deutschlands ist.2 Einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) folgend, ist das Leben in nur 20 von insgesamt 402 untersuchten Kreisen in Deutschland teurer als in Regensburg. Das liegt nahezu ausschließlich an den besonders hohen Mietkosten in der Stadt, die mehr als 25 % über dem bundesdeutschen Durchschnitt liegen.3 Dem Thema Wohnen widmet sich das anschließende Kapitel.
Oft wird nahegelegt, Regensburgs „prosperierende Wirtschaft“ kompensiere die hohen Lebenshaltungskosten durch überdurchschnittliche Löhne. Tatsächlich muss aber der Regensburger Durchschnittshaushalt rund 40 % seines (vermeintlich) überdurchschnittlichen Einkommens für Miete aufwenden.4 Von einer (vollständigen) Kompensation der hohen Lebenshaltungskosten kann also keine Rede sein.
Insgesamt befindet sich Regensburg einer aktuellen Studie zufolge in Sachen Kaufkraft auf Rang 316 von 402 untersuchten Kreisen und kreisfreien Städten in Deutschland.5
Die „überdurchschnittlichen Gehälter“ führen also für die breite Masse nicht zu einer überdurchschnittlichen Kaufkraft. Dass Regensburg dennoch häufig „reiche Stadt“ bezeichnet wird, liegt daran, dass wirtschaftlicher Erfolg, hohe Gewerbesteuereinnahmen und die finanzielle Ausstattung der Stadtverwaltung oft mit der finanziellen Ausstattung der Bevölkerung gleichgesetzt werden. Doch richtet man den Blick auf die Einwohnerinnen und Einwohner Regensburgs, kann auch von einer „reichen Stadt“ für viele der Bürgerinnen und Bürger keine Rede sein.
Viele unserer Gesprächspartner berichteten, dass ihnen spätestens nach den zwingend notwendigen Ausgaben kaum noch Geld zur Lebensgestaltung bleibt:
„Und dann, wenn ich 750 Euro Miete, dann zahl ich 62 Euro Strom und die Heizung. Und dann mein Handy, meine Versicherungen – ja mir bleibt ned viel übrig.“ (Frau A, Pos. 57)
Besonders schwierig ist es, Lebenshaltungskosten zu bezahlen, die den üblichen Bedarf übersteigen. Beispielsweise muss Frau A finanzielle Mittel für ihre Medikamente aufwenden; Herr J verliert Geld an seine Suchterkrankung: „Ich bin drogensüchtig, das ist nunmal so. Ich wärs gerne nicht, das kostet auch ein Geld“ (Herr J, Pos. 56).
Auch viele Experten aus dem Sozialbereich berichteten, dass es für eine wachsende Zahl von Regensburgerinnen und Regensburgern immer schwerer wird, sich von ihrem Einkommen ein auskömmliches Leben zu finanzieren. Gerade Rentner haben demnach mit den hohen Preisen in der Stadt besonders zu kämpfen. Ein Mitarbeiter einer Regensburger Lebensmittelausgabe berichtet:
„Es gibt also quasi den, den Rentner, der wo seine Rente kriegt, obwohl er 48, 49 Jahre gearbeitet hat. Wir sehen Rentenbescheide ein, 600, 800, 500 Euro, meistens unter 1000. Haben ihr Leben lang gearbeitet. Kommen dann so als Aufstocker“ (ZG H, Pos. 7)
In der Sprache des theoretischen Rahmens des Berichts: Die Schwelle, Finanzielle Potenziale zum Erreichen von Functionings zu nutzen, ist in den letzten Jahren in Deutschland insgesamt deutlich höher geworden und liegt in Regensburg nochmals wesentlich höher.
Wenn also im Folgenden Zahlen zu den finanziellen Mitteln der Regensburger Stadtbevölkerung analysiert werden, so ist bei Vergleichen mit anderen Regionen zu berücksichtigen, dass die Einkommen der Regensburger Stadtbevölkerung durch die besonders hohen Lebenshaltungskosten weniger Kaufkraft haben als in den meisten anderen Städten. Dies gilt nicht für Sozialleistungen, bei denen die Wohnkosten vollständig übernommen werden, wie etwa beim Bürgergeld, gilt aber umso mehr bei bundesweit pauschal gedeckelten Sozialleistungen, wie etwa dem BAföG. Mit der aktuellen Mietpauschale von 380 € hat man in Regensburg – Stand 2024 – bereits Schwierigkeiten, ein WG-Zimmer zu finanzieren.6
1 Statistisches Bundesamt 2024: Reallöhne und Nominallöhne: Entwicklung der Reallöhne, der Nominallöhne und der Verbraucherpreise (https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Verdienste/Realloehne-Nettoverdienste/Tabellen/liste-reallohnentwicklung.html#134646; Zugriff: 03.09.2024).
2 Kawka, Rupert/ Goecke, Henry/ Henger, Ralph/ Schröder, Bjarne/ Schröder, Christoph/ Wendt, Jan 2023: Regionaler Preisindex für Deutschland – ein neuer Erhebungsansatz mit Big Data (Stand Juli 2023). Bundesinstitut für Bau- Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR).
Weinand, Sebastian/ von Auer, Ludwig 2019: Discussion paper / Deutsche Bundesbank: no 2019, 04. Deutsche Bundesbank (http://hdl.handle.net/10419/191926; Zugriff: 06.03.2025).
3 Kawka, Rupert/ Goecke, Henry/ Henger, Ralph/ Schröder, Bjarne/ Schröder, Christoph/ Wendt, Jan 2023: Regionaler Preisindex für Deutschland – ein neuer Erhebungsansatz mit Big Data (Stand Juli 2023). Bundesinstitut für Bau- Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR).
4 Kholodilin, Konstantin A./Baake, Pio 2024: Mietbelastung in Deutschland. In den letzten Jahren nicht gestiegen, aber ungleich verteilt. In: DIW Wochenbericht 41/2024, S. 3–9 (https://doi.org/10.18723/DIW_WB:2024-41-1; Zugriff: 06.03.2025).
5 Schröder, Christoph/ Wendt, Jan 2024: IW-Kurzbericht Nr. 87/2024: Kaufkraft: Schöne Gegenden ziehen die Wohlhabenden an. Institut der Deutschen Wirtschaft Köln (https://www.iwkoeln.de/studien/christoph-schroeder-schoene-landschaft-zieht-die-wohlhabenden-an.html; Zugriff: 06.03.2025).
6 Voigtländer, Michael/ Oberst, Christian/ Geis-Thöne, Wido 2024: MLP Studentenwohnreport 2024 (https://mlp-se.de/redaktion/mlp-se-de/studentenwohnreport-microsite/2024/report/mlp-studentenwohnreport-2024.pdf; Zugriff: 06.03.2025).
Die aus der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung abgeleitete Größe des verfügbaren Einkommens je Einwohner, die auf dem in Kapitel 3 erläuterten „großen Einkommensbegriff“ basiert, liefert erste Hinweise auf die finanziellen Entwicklungen in der Stadt. Allerdings ist ein Vergleich der absoluten Werte zwischen Jahren oder Regionen aufgrund der sehr unterschiedlichen Preisniveaus nur bedingt aussagekräftig.
Zudem macht die fiktive, gleichmäßige Verteilung des Gesamteinkommens auf die gesamte Stadtbevölkerung direkte Aussagen über Armut nicht möglich. Dennoch können Veränderungen im verfügbaren Einkommen Hinweise darauf geben, wie sich die allgemeine finanzielle Situation der Haushalte und potenziell auch Armutsrisiken in einer Stadt entwickelt haben. Die Ausführungen zum verfügbaren Einkommen dienen also als Kontext.
Seit dem letzten Berichtsjahr ist der Jahreswert des verfügbaren Einkommens je Einwohner in Regensburg um 4.197 € gestiegen.7 Dieses nominelle Plus liegt weit unter dem bundesdeutschen Anstieg (+ 6.161 €) und noch weiter unter dem bayerischen (+ 7.324 €).
Verrechnet man diesen Wert mit der bundesweiten Inflation seit 2011, so lässt sich sagen: Die Regensburger Durchschnitts-Person hatte 2021 etwa 100 € mehr im Monat zur Verfügung als ihr Pendant aus dem Jahr 2011. Im Vergleich mit den anderen bayerischen Großstädten befindet sich Regensburg hier im Mittelfeld (s. Abb. 2).
Abbildung 2: Kaufkraftgewinne gegenüber 2011

Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung auf Basis der VGRdL 20248
Ob diese Kaufkraftgewinne in einer so teuren Stadt wie Regensburg tatsächlich Gewinne waren, oder ob die hohen Lebenshaltungskosten diese „Gewinne“ zunichte gemacht haben oder gar für einige Regensburger Haushalte zu Verlusten geführt haben, muss die Frage eines zukünftigen Forschungsprojekts bleiben. Übereinstimmende Aussagen von Experten, insbesondere der Schuldnerberatungsstellen deuten jedenfalls darauf hin, dass ein wachsender Anteil der Regensburger Stadtbevölkerung in den letzten Jahren an Kaufkraft verloren hat und sich viele das Leben in der Stadt kaum bis gar nicht mehr leisten können.
„Niedrigeinkommen heißt das dann bei uns, das ist bei uns auch stark zugenommen.“ (FK SB2, Pos. 101)
„…dass das wirklich oft schwierig ist, da noch zu sagen: hey, spart da noch ein, oder brauchst du das? Weil es einfach oft schon so knapp von vornherein ist, dass die ihre laufenden Kosten zahlen, die Sachen, die sie bezahlen müssen für die Existenz.“ (FK SB3, Pos. 67)
Stimmen, die in Bezug auf dieses Thema von positiven Entwicklungen berichteten, gab es in keinem der geführten Interviews. Dem zunehmenden Andrang, von dem die Schuldnerberatungsstellen berichten, wird in Kapitel 5.2 nachgegangen.
Mit Blick auf diese Expertenaussagen und die Entwicklungen der Armutsgefährdungsquote im Raum Regensburg ist zu vermuten, dass finanzielle Probleme in Regensburg in den letzten Jahren zugenommen haben. Stellt man dies den leichten, durchschnittlichen Kaufkraftgewinnen beim verfügbaren Einkommen je Einwohner gegenüber, stellt sich die Frage, ob dies auf eine Zunahme der Ungleichheit in der Stadt hinweist.
Anhand der Daten zum Einkommen aus Erwerbstätigkeiten soll im Folgenden untersucht werden, wer von den niedrigen Erwerbseinkommen besonders betroffen ist, welche Ungleichheiten hier auffallen und wie sich diese entwickelt haben. Zudem werden anhand des Interviewmaterials aus den Gesprächen mit Betroffenen prekäre Arbeitsbedingungen thematisiert.
Die Reallöhne in Deutschland sind in den letzten Jahren tendenziell gesunken (siehe Abb. 1). Seit 2023 werden zwar quartalsweise leichte Anstiege vermeldet, doch zeigen die aktuellen Monatszahlen (Auswertung der Daten bis einschl. November 2024), dass die Reallöhne seit April 2024 wieder kontinuierlich sinken und ab August 2024 unter dem Niveau von 2022 liegen.9 Bei dieser deutschlandweiten Entwicklung bildet auch der Arbeitsmarkt in Regensburg keine Ausnahme. Unter Bezugnahme auf Daten der Bundesagentur für Arbeit bis zum Jahr 2023, schreibt ZEIT Online:
„Seit dem Jahr 2002 sind die Gehälter in Regensburg inflationsbereinigt um 6,3 Prozent gestiegen: von 3.828 auf 4.070 Euro brutto im Monat. Damit liegen die Löhne der Menschen, die in Regensburg wohnen und sozialversicherungspflichtig angestellt in Vollzeit arbeiten, 264 Euro über dem mittleren Lohn in Deutschland (3.806 Euro).“10
Dies bestätigt den leichten durchschnittlichen Zugewinn, den das verfügbare Einkommen gegenüber 2011 nahelegt.
Auffällig ist jedoch die Entwicklung seit 2020: Seitdem fielen die inflationsbereinigten Gehälter um 331 € und 2023 lagen sie unter dem Niveau von 2014.11 Diese Entwicklung deckt sich mit der bundesdeutschen, die eingangs (insb. Abb. 1) skizziert wurde. Somit lässt sich sagen, dass in den letzten Jahren auch auf dem Regensburger Arbeitsmarkt eine nach wie vor anhaltende Entwertung der Gehälter zu beobachten war (siehe Abb. 3).
Abbildung 3: Inflationsbereinigte Gehälter in Regensburg seit 2011

Quelle: Eigene Darstellung; Berechnungen von ZEIT Online auf Basis von Daten der Bundesagentur für Arbeit12
Die Zahlen decken sich mit den oben erwähnten Aussagen aus den Experten-Interviews, dass immer mehr Regensburgerinnen und Regensburger Schwierigkeiten haben, von ihrem Lohn ihr Leben zu finanzieren. Die bis hierhin vorgestellten Ergebnisse können also als Indizien für Verarmungstendenzen in Regensburg gedeutet werden.
Haushalte, deren Mitglieder in den am schlechtesten bezahlten Branchen arbeiten, sind vermutlich mit am stärksten armutsgefährdet. Vor diesem Hintergrund soll untersucht werden, inwieweit Beschäftigte in diesen Branchen von Lohnerhöhungen profitiert haben. Für eine vorsichtige Annäherung sollen hierzu die Tarifabschlüsse herangezogen werden.
Die Wirtschaftszweige, in denen man in Regensburg bei Vollzeiterwerbstätigkeit am wenigsten verdient, waren 2021 (dem letzten Jahr, für das Zahlen zum verfügbaren Einkommen vorliegen) das Gastgewerbe, sonstige wirtschaftliche Dienstleistungen, Verkehr und Lagerei sowie Handel, Instandhaltung und Reparatur von Kfz.13
Tatsächlich waren die bundesweiten Tariferhöhungen in diesen Branchen seit 2011 unterdurchschnittlich.14 Somit ist davon auszugehen, dass diejenigen, die in Regensburg am wenigsten verdient haben, auch weniger von den durchschnittlichen Kaufkrafterhöhungen gegenüber 2011 profitiert haben, womöglich sogar Kaufkraftverluste hinnehmen mussten – wenn die Erhöhungen die Anstiege in den Lebenshaltungskosten nicht mindestens ausgleichen konnten.
Das wirft die Frage nach Einkommensungleichheiten15 auf dem Regensburger Arbeitsmarkt auf. Wie es sich mit dieser zwischen obersten und untersten Gehaltsklassen, Männern und Frauen, deutschen und ausländischen Staatsbürgern verhält, soll im folgenden Abschnitt geklärt werden.
In Regensburg ist das mittlere Gehalt der obersten Gehaltsklasse (Metall-, Elektro-, Stahlindustrie) knapp 2,5-mal so hoch wie das der untersten (Gastgewerbe) – bei gleicher Arbeitszeit.
Vergleicht man die Unterschiede zwischen den höchsten und niedrigsten mittleren Entgelten nach Wirtschaftszweig in Regensburg mit denen in anderen Regionen, so lässt sich festhalten, dass die Abstände zwischen oberster und unterster Gehaltsklasse in Regensburg sowohl relativ (mittleres Einkommen oberste Gehaltsklasse / mittleres Einkommen unterste Gehaltsklasse) als auch absolut (Mittleres Einkommen oberste Gehaltsklasse – Mittleres Einkommen unterste Gehaltsklasse) größer sind als im bundesdeutschen und bayerischen Schnitt. Im Vergleich mit den anderen bayerischen Großstädten befindet sich Regensburg auf Rang fünf von acht bei der relativen und Rang vier von acht bei der absoluten Größe der Ungleichheit (siehe Abb. 4).
Abbildung 4: Einkommensungleichheit zwischen oberster und unterster Gehaltsklasse bei sozialversicherungspflichtiger Vollzeiterwerbstätigkeit in verschiedenen Regionen (2023)

Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung auf Basis von Daten der Bundesagentur für Arbeit (Hg.) 202416
Die relativen Steigerungen bei den bundesweiten Tarifabschlüssen von etwa 22 % in den obersten und 25 % in den untersten Gehaltsklassen führen dazu, dass sich – geht man nur von den bundesweiten Tarifabschlüssen aus – der absolute Abstand der obersten zur untersten Gehaltsklasse in Regensburg seit 2011 verdoppelt hat. Die Einkommensungleichheit in Regensburg hat also aller Wahrscheinlichkeit nach (deutlich) zugenommen. Die „Kaufkraftgewinne“ gegenüber 2011 sind vermutlich deutlich zu Gunsten von Besserverdienern verteilt.
7 Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder (Hg.) 2024: Einkommen der privaten Haushalte in den kreisfreien Städten und Landkreisen der Bundesrepublik Deutschland 1995 bis 2021: Reihe 2, Kreisergebnisse Band 3 (https://www.statistikportal.de/sites/default/files/2024-11/vgrdl_r2b3_bs2023.xlsx)
8 Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder (Hg.) 2024: Einkommen der privaten Haushalte in den kreisfreien Städten und Landkreisen der Bundesrepublik Deutschland 1995 bis 2021: Reihe 2, Kreisergebnisse Band 3 (https://www.statistikportal.de/sites/default/files/2024-11/vgrdl_r2b3_bs2023.xlsx)
9 Statistische Ämter des Bundes und der Länder (Hg.) 2024: Reallohnindex, Nominallohnindex: Deutschland, Jahre: Verfügbarer Zeitraum: 2007 – 2023 (https://www-genesis.destatis.de/datenbank/online/statistic/62361/table/62361-0020/search/s/UmVhbGxvaG4=)
10 Bauer, Jakob/Gutensohn, David/ Jeschke, Anne/Tröger, Julius 22. August 2024: Gehalt – So viel verdient man in Regensburg. In: ZEIT Online. (https://www.zeit.de/arbeit/gehaltsvergleiche/gehalt-regensburg-gehaltsvergleich-deutschland; Zugriff: 06.03.2025).
11 Ebd.
12 Ebd.
13 Bundesagentur für Arbeit (Hg.) 2022: Sozialversicherungspflichtige Bruttomonatsentgelte (Jahreszahlen) 2021 (https://statistik.arbeitsagentur.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Einzelheftsuche_Formular.html?topic_f=beschaeftigung-entgelt-entgelt&r_f=by_Regensburg).
Zur Vertiefung der Wirtschaftszweige siehe:
Statistisches Bundesamt (Hg.) 2008: Klassifikation der Wirtschaftszweige: Mit Erläuterungen (https://www.destatis.de/DE/Methoden/Klassifikationen/Gueter-Wirtschaftsklassifikationen/Downloads/klassifikation-wz-2008-3100100089004-aktuell.pdf?__blob=publicationFile; Zugriff: 06.03.2025).
14 Statistisches Bundesamt (Hg.) 2024: Index der Tarifverdienste und Arbeitszeiten (https://www-genesis.destatis.de/datenbank/online/url/169fb187; Zugriff: 06.03.2025).
15 Da für den vorliegenden Bericht keine regionalen Daten zur Vermögensverteilung in Regensburg vorlagen, kann das Thema Vermögensungleichheit hier nicht behandelt werden. Allerdings ist zu beachten, dass Vermögensungleichheit in Deutschland noch ausgeprägter ist als Einkommensungleichheit und eine zentrale Rolle bei der langfristigen sozialen Ungleichheit spielt.
16 Bundesagentur für Arbeit (Hg.) 2024: Sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigte der Kerngruppe mit Angaben zum Bruttomonatsentgelt (https://statistik.arbeitsagentur.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Einzelheftsuche_For mular.html?topic_f=beschaeftigung-entgelt entgelt&r_f=by_Regensburg)
An dieser Stelle lohnt sich ein Blick auf den bereits erwähnten Niedriglohnsektor. Die Beschäftigung im Niedriglohnsektor – nach der Statistik der Bundesagentur für Arbeit definiert als 2/3 des Medianentgelts aller sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten – nahm bundesweit seit 2011 kontinuierlich ab. 2023 lag sie bei 15,3 % – es gab also bundesweit knapp 3,4 Millionen Beschäftigte im Niedriglohnsektor.17 Besonders häufig sind Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund und Ostdeutsche in diesem Sektor beschäftigt.18
Im Folgenden soll mithilfe der wenigen vorhandenen regionalen Daten, die Entwicklung des Niedriglohnsektors speziell in Regensburg nachgezeichnet werden. Für Arbeitnehmende, die sowohl ihren Wohn- als auch Arbeitsort in der Stadt Regensburg haben, sind angesichts der hohen Lebenshaltungskosten Entwicklungen im unteren Einkommensbereich besonders bedeutsam.
Im Armutsbericht von 2011 konnte ein Wachstum des Niedriglohnsektors in Regensburg nachgewiesen werden. Aus drei Gründen ist dies im vorliegenden Bericht weder sinnvoll noch möglich.
Erstens hat sich die Niedriglohnschwelle seit 2011 stark verschoben, während die Differenzierung der Einkommensklassen in der Einkommenssteuerstatistik gröber geworden ist. Somit lässt sich die Kenntnis der jeweiligen Niedriglohnschwelle nicht sinnvoll in die Interpretation der Einkommensstatistik einbringen. Dass die Einkommensklassen in der Statistik gröber gefasst werden als noch 2004 (den vorliegenden Daten im Bericht zur sozialen Lage 2011) führt zweitens dazu, dass die Aussagen, die sich auf dieser Basis ohnehin nicht treffen lassen, auch nicht mit denen des vorigen Berichts verglichen werden könnten. Drittens wird die Einkommenssteuerstatistik mit großer Verzögerung veröffentlicht, sodass aktuell nur die Zahlen bis 2020 verfügbar sind. Die besonders interessante Entwicklung während und nach der Pandemie ließe sich also ebenfalls nicht darstellen. Ab 2020 liegen jedoch Daten der Bundesagentur für Arbeit vor – diese beziehen sich ausschließlich auf Vollzeitbeschäftigte.
Seit 2020 ist diesen Daten zufolge der Niedriglohnsektor in Regensburg von 13,9 % auf 11,9 % gesunken.19 Diese Entwicklung war auch in allen anderen bayerischen Großstädten zu beobachten. Mit der Größe seines Niedriglohnsektors liegt Regensburg hier im Mittelfeld (siehe Abb. 5).
Abbildung 5: Größe der Niedriglohnsektoren in bayerischen Großstädten

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von Daten der Bundesagentur für Arbeit (Hg.)20
Innerhalb Bayerns war die Stadt Regensburg laut dem DGB-Niedriglohnreport 2020, der alle Arbeitnehmenden in seine Rechnungen einbezog, eine der Gegenden mit dem geringsten Niedriglohnrisiko.21 Für das Jahr 2018 wurde dieses mit 12,0 % beziffert, aktuellere Zahlen liegen nicht vor. Mit Blick auf beide Quellen lässt sich also sagen, dass gut jeder achte Arbeitnehmer in Regensburg im Niedriglohnsektor arbeitet. Dieser Anteil ist kleiner als im bundesdeutschen Durchschnitt.
Dass das Schrumpfen des Niedriglohnsektors nicht zwingend mit einer Abnahme der Armut einhergeht, zeigt ein Blick auf die Entwicklungen des Niedriglohnsektors bundesweit (sinkend) und der bundesweiten Armutsgefährdungsquote (konstant, zuvor leicht steigend). Dennoch tritt ein Widerspruch zu den Äußerungen in den Interviews auf: Während die Experten aus dem Sozialbereich von einer Zunahme von Niedrigeinkommen berichteten, zeigt die Statistik unmissverständlich, dass der Niedriglohnsektor auch in Regensburg schrumpft. Dieser Widerspruch lässt sich wie folgt auflösen: Die Aussagen der Experten bezogen sich darauf, dass sie in ihrer Arbeit vermehrt mit Niedrigeinkommen als Hauptproblem ihrer Klienten konfrontiert werden. Der Aussage, dass es immer problematischer wird, mit Niedrigeinkommen ein Leben zu bestreiten, widerspricht die Statistik nicht. Wenn also auch in absoluten Zahlen weniger Menschen betroffen sind, haben diejenigen, die in diesem Bereich arbeiten, mit verschärften finanziellen Problemen zu kämpfen und tauchen somit häufiger bei entsprechenden Einrichtungen auf.
Hier lässt sich zunächst einmal festhalten: Der Niedriglohnsektor in Regensburg schrumpft, der Verbleib im Niedriglohnsektor geht jedoch mit existenziellen Herausforderungen einher. Das führt dazu, dass Geringverdienende in Regensburg vermehrt auf professionelle Hilfe angewiesen sind.
Außerdem sollte dieser vermeintliche Widerspruch ins Verhältnis zur Entwicklung der Reallöhne gesetzt werden, um ihn aufzulösen: Die Niedriglohngrenze, wie in der Statistik der Bundesagentur, einfach an einem Mittelwert der gegebenen Gehälter festzumachen, berücksichtigt die Kaufkraft der Gehälter nicht. Da die Reallöhne seit 2020 bundesweit gesunken sind, hat sich auch diese Niedriglohnschwelle entsprechend nach unten verschoben – als 2/3 des im Wert gesunkenen mittleren Lohns.
Hier fallen auch die besonders hohen Lebenshaltungskosten in Regensburg wieder ins Gewicht: Angesichts derer könnte es für zukünftige Forschungsprojekte sinnvoll sein, eine regionale Niedriglohnschwelle zu berechnen. Für dieses Unterfangen fehlten im vorliegenden Bericht jedoch Daten und Ressourcen.
17 Bundesagentur für Arbeit (Hg.) 2024: Analyse zur Entgeltstatistik 2023 (https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/Fachstatistiken/Beschaeftigung/Generische-Publikationen/Blickpunkt-Arbeitsmarkt-Analyse-zur-Entgeltstatistik.pdf?__blob=publicationFile&v=8; Zugriff: 06.03.2025).
18 Grabka, Markus M./Göbler, Konstantin 2020: Der Niedriglohnsektor in Deutschland. Bertelsmann Stiftung (https://www.bertelsmann-stiftung.de/index.php?id=5772&tx_rsmbstpublications_pi2%5bdoi%5d=10.11586/2020032&no_cache=1; Zugriff: 26.02.2025)
19 Bundesagentur für Arbeit 2021: Sozialversicherungspflichtige Bruttomonatsentgelte (Jahreszahlen) 2020 (https://statistik.arbeitsagentur.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Einzelheftsuche_Formular.html?topic_f=beschaeftigung-entgelt-entgelt&r_f=by_Regensburg; Zugriff: 26.02.2025)
Bundesagentur für Arbeit 2023: Sozialversicherungspflichtige Bruttomonatsentgelte (Jahreszahlen) 2022 (https://statistik.arbeitsagentur.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Einzelheftsuche_Formular.html?topic_f=beschaeftigung-entgelt-entgelt&r_f=by_Regensburg; Zugriff: 26.02.2025)
Bundesagentur für Arbeit 2024: Sozialversicherungspflichtige Bruttomonatsentgelte (Jahreszahlen) 2023 (https://statistik.arbeitsagentur.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Einzelheftsuche_Formular.html?topic_f=beschaeftigung-entgelt-entgelt&r_f=by_Regensburg; Zugriff: 26.02.2025)
20 Bundesagentur für Arbeit (Hg.) 2021-2024: Sozialversicherungspflichtige Bruttomonatsentgelte (Jahreszahlen) 2020-2023 (https://statistik.arbeitsagentur.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Einzelheftsuche_For mular.html?topic_f=beschaeftigung-entgelt entgelt&r_f=by_Regensburg)
21 Weinkopf, Claudia/Kalina, Thorsten 2020: Tatort Niedriglohn in Bayern. Auswertung des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) im Auftrag des DGB-Bezirks Bayern (https://bayern.dgb.de/themen/++co++6c9d280c-27e9-11eb-84e5-001a4a160123; Zugriff: 26.02.2025)
Was in der Statistik gar nicht und in den Experteninterviews kaum Erwähnung fand, waren die Bedingungen, unter denen sich Menschen, insbesondere im Niedriglohnbereich, ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. Umso eindrücklicher berichteten Armutsbetroffene von den Umständen ihrer Erwerbsbiografie.
Häufig führte das Ausüben körperlich anstrengender Arbeiten zu gesundheitlichen Problemen wie Rückenbeschwerden, Gelenkerkrankungen oder chronischen Schmerzen. Dies berichteten vor allem Frauen, die in der Gastronomie gearbeitet haben – jenem Bereich, in dem man aktuell in Regensburg am wenigsten verdient. Im Fall von Frau Ä führten die gesundheitlichen Folgen der Arbeit in der Gastronomie zu einem vorzeitigen Ende ihrer Erwerbsbiografie:
„Beruflich ist es dann so weiter gegangen, dass ich dann in die Gastronomie gegangen bin. Erst einmal. Und dann habe ich eine Ausbildung zur Glasmalerei gemacht. Und da war es aber mit den Jobs sehr spärlich und da hätte ich ganz weit wegmüssen und das wollte ich dann auch nicht. Und dann bin ich wieder in die Gastronomie gegangen. Und da habe ich ziemlich lange gearbeitet. Dann habe ich arge Rückenprobleme kriegt. Dann habe ich das nicht mehr machen können. Dann habe ich eine Umschulung gemacht zur Industriekraftfrau. Habe ein paar Jahre im Büro gearbeitet dann. Und da hätte ich dann aber auch schon so einen Stuhl gebraucht, der extra eingestellt worden ist, weil eben der Rücken kaputt ist.“ (Frau Ä, Pos. 33)
Der Arbeitsalltag im Niedriglohnsektor ist also häufig mit hohen körperlichen und gesundheitlichen Belastungen sowie Risiken verbunden. Erschwerend kommt hier hinzu, dass Erholung nur sehr eingeschränkt möglich ist, da beispielsweise Zeit und Geld für Urlaub fehlen: „Aber so Ausflug oder Urlaub oder so, habe ich jetzt zum Beispiel seit 15 Jahren oder so nicht mehr gemacht, weil das einfach nicht drin war.“ (Herr L, Pos. 70).
Deutlich wurde auch, dass die Betroffenen sich oft bei ihrer Berufswahl nicht frei fühlten, also ihre Handlungsoptionen als sehr begrenzt erlebt haben: „Ich war lange Zeit auf dem Bau. Dann war ich jahrelang Kraftfahrer. Obwohl ich ja nie schwer heben sollte, seit meinem 16. Lebensjahr. Ich habe immer schwer arbeiten müssen.“ (Herr H, Pos. 31) „Nein, ich habe auch gearbeitet, als ich krank war, und jetzt geht es halt nimmer, weil ich einen Herzrückwandinfarkt gehabt habe.“ (Frau A, Pos. 138)
Neben langfristigen gesundheitlichen Einschränkungen, die aus körperlich belastenden oder risikoreichen Tätigkeiten resultieren, spielten auch der Zeitdruck und mangelnde Arbeitsschutz eine Rolle – was teils zu schweren Unfällen führte:
„Ich habe viele Unfälle gehabt, Arbeitsunfälle, alles Mögliche. Ich bin noch froh, dass es hier oben auch wieder einigermaßen geht, weil ich hätte mir beinahe das, wie sagt man dazu, abgerissen, hier oben herum, wär beinahe weg gewesen. Acht Meter Leiter runter mit laufender Motorsäge. Ich habe einen schweren Kirschbaumast so vor die Brust gekriegt. Mein Kopf ist mir unter die Brust geknallt. Das ist oben voll mit Riss reingekriegt worden. Das war kurz vor dem Abreißen. Meine Arme waren wie ein Flieger, der auseinander macht. Ja und die ganze Wirbelsäule. Dadurch habe ich das da auch jetzt wieder, zusätzlich noch wieder die Schmerzen bekommen.“ (Herr Ü, Pos. 12)
Neben den in letzter Zeit vermehrt auftretenden psychosozialen Problemen, die mit Beschäftigung im Niedriglohnsektor einhergehen, ist also auch die körperliche Gesundheit im Niedriglohnsektor in besonderem Maße belastet. Körperlicher und psychischer Gesundheit sind ebenso wie der psychosozialen Dynamik von Armut eigene Kapitel dieses Berichts gewidmet.
Mit prekären Arbeitsbedingungen und Ungleichheiten in der Beschäftigung befasste sich auch Lucia-Marie Ruß in ihrer Masterarbeit am Beispiel der Reinigungskräfte an der OTH Regensburg.
Lucia-Marie Ruß
Die Analyse der Reinigungstätigkeiten an der OTH Regensburg zeigt zentrale Aspekte globaler Ungleichheit im Mikrokosmos der Hochschule auf. Dabei wird deutlich, dass die Privilegien und soziale Positionierung der Hochschulangehörigen ihre Haltung und Ansprüche gegenüber Sauberkeit und Reinigungstätigkeiten prägen. Ein zentrales Ergebnis ist die systematische Externalisierung von Verantwortung für soziale und ökologische Kosten sowie die Arbeitsbedingungen der Reinigungskräfte. Diese Prozesse sind tief in den Strukturen der Hochschule verankert und werden durch organisatorische Vorgaben weiter aufrechterhalten. Infolgedessen bleibt die Arbeit der Reinigungskräfte weitgehend unsichtbar, was zu mangelnder Wertschätzung und Anerkennung ihrer Tätigkeit führt.
Die Untersuchung der Frage „Who cleans our toilets?“ zeigt zudem, dass Reinigungskräfte überwiegend als anonyme kollektive Gruppe wahrgenommen werden, während individuelle Akteure kaum sichtbar sind. Auffällig ist, dass 99 % der Reinigungskräfte an der OTH Regensburg Frauen aus Rumänien sind, die oft kaum Deutschkenntnisse haben, manche sind auch Analphabetinnen. Diese Tatsache verdeutlicht die prekäre soziale und sprachliche Situation der Beschäftigten. Diese Dynamik ist typisch für eine Externalisierungsgesellschaft, in der unangenehme Fragen zu Arbeitsbedingungen und deren Konsequenzen vermieden werden, da ihre Beantwortung eine kritische Auseinandersetzung mit bestehenden Macht- und Strukturverhältnissen erfordert.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Arbeit der Reinigungskräfte an der OTH Regensburg nicht nur unsichtbar bleibt, sondern auch in einem stark hierarchischen Machtgefüge stattfindet, in dem die Hochschulangehörigen auf Kosten der Reinigungskräfte leben.
Frauen generell und Menschen ohne deutschen Pass arbeiten häufiger im Niedriglohnsektor. Auch unabhängig vom Niedriglohnsektor und seiner Vermessung haben Frauen und Ausländer deutlich niedrigere Verdienste als ihre Vergleichsgruppen – Männer und deutsche Staatsangehörige. Sie sind also in besonderem Maße von Armut bedroht. Insofern sind für den Armutsbericht auch ihre Löhne und Gehälter auf dem Regensburger Arbeitsmarkt relevant. Diese sollen im Folgenden anhand von Vergleichen als unbereinigte Pay Gap22 analysiert werden.23
Auf Basis der ab 2014 vorliegenden Daten lässt sich festhalten: Frauen, die in Regensburg Vollzeit arbeiten, verdienen knapp 20 % weniger als Männer; Ausländer, die in Regensburg Vollzeit arbeiten, gut 30 % weniger als deutsche Staatsangehörige (siehe Abb. 6).24
Abbildung 6: Unbereinigte Pay Gaps in Regensburg

Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung auf Basis von Daten der Bundesagentur für Arbeit (Hg.)25
Frauen hatten 2023 in Regensburg ein mittleres Bruttogehalt von 3.763 €, Männer eines von 4.665 €. Das mittlere Gehalt der Arbeitnehmer ohne deutsche Staatsangehörigkeit lag bei 3.061 €, das von Arbeitnehmern mit deutscher Staatsangehörigkeit bei 4.486 €. Mit diesen Werten bewegt sich Regensburg generell im Mittelfeld bayerischer Großstädte. Die oft anzutreffende pauschale Äußerung, in Regensburg würden überdurchschnittliche Gehälter gezahlt werden, muss also differenziert werden:
Männer und deutsche Staatsangehörige erhalten in Regensburg Gehälter, die ein gutes Stück über dem jeweiligen bayerischen Mittelwert der Gehälter von Männern bzw. deutschen Staatsangehörigen liegen. Die Gehälter von Frauen liegen knapp über dem Mittelwert. Ausländischen Menschen hingegen werden in Regensburg Gehälter unterhalb des Mittelwerts gezahlt. Bis 2021 galt auf dem Regensburger Arbeitsmarkt: Ohne Berufsabschluss verdient man besser als ohne deutschen Pass.
Überdurchschnittlich sind in Regensburg vor allem die Unterschiede zwischen dem Gehalt von Männern/Frauen, dem Gender Pay Gap, bzw. dem von Menschen mit deutschem Pass / anderen Staatsangehörigkeiten – diese Ungleichheit nennen wir im Folgenden Citizenship Pay Gap.
Abbildung 7: Unbereinigte Pay Gaps im Vergleich

Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung auf Basis von Daten der Bundesagentur für Arbeit (Hg.) 202426
In den bisherigen Ausführungen konnten nur Aussagen über den Arbeitsmarkt in Regensburg getroffen werden und somit nur indirekt über die Regensburger Einwohnerinnen und Einwohner selbst. Im Rahmen der folgenden Ausführungen lassen sich sowohl über den Arbeitsmarkt als auch über die Einwohnerinnen und Einwohner Regensburgs an sich Aussagen treffen. Wichtig zu beachten ist, dass die Zahlen zum Arbeitsmarkt sich, soweit nicht anders angegeben, auf den 31.12.2023 beziehen, demographische Daten jedoch auf den 30.06.2023.
Auch im Vergleich mit anderen bayerischen Großstädten weist der Arbeitsmarkt 2023 in Regensburg einen relativ hohen Gender Pay Gap auf (siehe Abb. 8).
Abbildung 8: Unbereinigte Gender Pay Gaps in bayerischen Großstädten (2023)

Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung auf Basis von Daten der Bundesagentur für Arbeit (Hg.) 202427
Auffällig sind auch die Anteile von Frauen und Männern an den Vollzeiterwerbstätigen in Regensburg. So sind nur etwa 33,7 % der in Regensburg Vollzeiterwerbstätigen Frauen. 85,2 % der in Regensburg erwerbstätigen Männer arbeiten in Vollzeit, während dieser Anteil unter den erwerbstätigen Frauen nur 50 % beträgt. Umgekehrt sind Frauen in Teilzeitarbeit in Regensburg stark überrepräsentiert – sie machen knapp 80 % aller Teilzeitbeschäftigten aus.28
Nur 36,3 % der vollzeiterwerbstätigen Menschen in Regensburg sind Frauen. Allerdings liegt der Anteil der vollzeiterwerbstätigen Frauen an der Gesamtzahl der erwerbstätigen Frauen bei 53,4 %. Die entsprechende Quote unter den Männern mit Wohnort in Regensburg liegt bei 81,8 %.29 Folglich liegt die Vermutung nahe, dass viele männliche Arbeitnehmer, die nach Regensburg pendeln, dort in Vollzeit arbeiten, während viele Frauen, die nach Regensburg pendeln, dort in Teilzeit arbeiten.
Über die arbeitenden Regensburgerinnen und Regensburger lässt sich also sagen, dass insgesamt weniger Frauen erwerbstätig sind als Männer, obwohl es in etwa gleich viele Frauen und Männer im erwerbsfähigen Alter mit Wohnort in Regensburg gibt.30
Führt man nun zusammen, dass Frauen in Regensburg Vollzeit deutlich weniger verdienen als Männer und dass Frauen zudem insgesamt seltener in Vollzeit arbeiten, so lässt dies den Schluss zu, dass Frauen, die auf dem Regensburger Arbeitsmarkt beschäftigt sind, im Schnitt über ein deutlich geringeres Einkommen verfügen als Männer. Dies kann ein Hinweis auf ein deutlich höheres Armutsrisiko unter den in Regensburg arbeitenden Frauen sein, auch wenn hierzu spezielle regional ausdifferenzierte Zahlen fehlen. Gerade bei der Analyse der Renten werden die großen Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern zu berücksichtigen sein.
Die Analyse für Regensburgerinnen, also erwerbstätige Frauen mit Wohnsitz in Regensburg, fällt ähnlich, aber etwas schwächer aus. Die immerhin höhere Vollzeitquote lässt auf eine im Schnitt bessere materielle Ausstattung schließen. Im Vergleich zu den Pendlerinnen nach Regensburg sind aber die höheren finanziellen Bedarfe im Wohnort Regensburg zu berücksichtigen. Der Anteil der arbeitenden Frauen mit Wohnsitz in Regensburg an der Gesamtzahl der Frauen zwischen 18 und 65 Jahren in Regensburg beträgt nur 60,7 %, während dieser Anteil bei Männern bei 69 % liegt.31 Hier ist der größere Anteil weiblicher Studierender in Regensburg zu berücksichtigen. Doch selbst wenn man die Studierenden in die Rechnung aufnimmt, ist die Beschäftigungsquote von Frauen um 3,5 Prozentpunkte niedriger als die der Männer (92,3 %; 95,8 %).32 Da die Arbeitslosenquote von Frauen mit Wohnsitz in Regensburg niedriger ist als die von Männern, liegt die Vermutung nahe, dass ein nicht unerheblicher Teil der Regensburgerinnen weder erwerbstätig ist noch studiert. Viele von ihnen könnten finanziell von Partnern oder Familienangehörigen abhängig sein, was im Alter – insbesondere als Witwe – das Risiko finanzieller Schwierigkeiten erhöhen kann.
Bis 2021 galt auf dem Regensburger Arbeitsmarkt: Ohne Berufsabschluss verdient man besser als ohne deutschen Pass. 2023 verdiente man bei Vollzeiterwerbstätigkeit im Mittel 1.425 € mehr im Monat, wenn man deutscher Staatsbürger war.33
Auch bei der relativen Größe der Gehaltsunterschiede zwischen Erwerbstätigen mit deutscher Staatsangehörigkeit und solchen ohne, liegt Regensburg im Vergleich mit den übrigen bayerischen Großstädten auf Rang drei (siehe Abb. 9).
Abbildung 9: Unbereinigte Citizenship Pay Gaps in bayerischen Großstädten (2023)

Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung auf Basis von Daten der Bundesagentur für Arbeit (Hg.) 202434
Die Auswirkungen der oft niedrigen Gehälter in Regensburg zeigen sich auch daran, dass von den Ausländern, die in Regensburg langfristig auf Bürgergeld angewiesen sind, etwa ein Viertel erwerbstätig ist.35 Somit ist diesen Personen trotz Erwerbstätigkeit eine autonome Unterhaltung des eigenen Lebens nicht möglich, der Lebensstandard folglich niedrig.
An einer unterdurchschnittlichen Arbeitszeit können die auffällig niedrigen Gehälter dieser Gruppe nicht liegen: Von den in Regensburg erwerbstätigen Ausländern arbeiten 70,7 % in Vollzeit. 82,7 % der erwerbstätigen Männer und 54,1 % der erwerbstätigen Frauen ohne deutsche Staatsangehörigkeit arbeiten in Vollzeit. Ausländer auf dem Regensburger Arbeitsmarkt weisen damit eine über dem Durchschnitt des Regensburger Arbeitsmarktes liegende Vollzeitquote auf.36
42,6 % der Ausländer in Regensburg im erwerbsfähigen Alter arbeiten in Vollzeit. Von den tatsächlich erwerbstätigen Ausländern arbeiten 70,5 % in Vollzeit. Damit ist die Vollzeitquote der Ausländer in Regensburg etwas größer als die durchschnittliche Vollzeitquote unter den Stadtbewohnern.37 Das ist auf die höhere Vollzeitquote ausländischer Frauen zurückzuführen (54,2 %; insgesamt 53,4 %, s.o.), während die Vollzeitquote unter ausländischen Männern durchschnittlich ist (81,5 %; insgesamt 81,8 %, s.o.).
Sowohl der Regensburger Arbeitsmarkt als auch die Regensburger Stadtbevölkerung sind durch ökonomische Ungleichheiten geprägt. Hohen Gehältern für Akademiker und Spezialisten stehen Niedrigeinkommen, die oftmals mit prekären Arbeitsbedingungen einhergehen, gegenüber. Diese gehen mit gesundheitlichen und psychosozialen Problemen und mit dem Risiko der Überschuldung einher. Arbeitnehmende ohne deutsche Staatsbürgerschaft und Frauen sind verstärkt betroffen.
Frauen verdienen in Regensburg bedeutend weniger als Männer. Die Unterschiede in der Vollzeitbeschäftigung werden sich vermutlich auch in Regensburg in großen Teilen durch ein hohes Maß an unbezahlter Care-Arbeit, die vor allem Frauen verrichten, erklären lassen. Dies zeigt sich in Regensburg, wenn nur 36,2 % der Vollzeiterwerbstätigen Frauen sind. Die Gehälter bei Vollzeiterwerbstätigkeit belegen, dass Frauen oft in schlechter bezahlten Berufen tätig sind. Zusätzlich gilt auch in Regensburg, was bundesweit zutrifft: dass Frauen auch bei gleicher Arbeit im Schnitt einen geringeren Lohn bekommen.38 Da die Vollzeitlöhne trotz der höheren Lebenskosten in Regensburg kaum über dem bayerischen Mittelwert liegen, ist auch während der Erwerbstätigkeit von einem erhöhten Armutsrisiko von Frauen in Regensburg auszugehen. Mit Blick auf die Armutsgefährdungsquote von Frauen im Rentenalter in Bayern (24,5 %)39 kann bereits jetzt vermutet werden, dass diese Quote in Regensburg noch höher liegt.
Ohne deutschen Pass verdient man auf dem Regensburger Arbeitsmarkt besonders wenig. Das deutet auf strukturelle Benachteiligungen – Diskriminierung, ausbleibende Anerkennung im Ausland erworbener Schulabschlüsse – hin. Zu berücksichtigen sein wird hier ebenfalls, dass einige der Ausländerinnen und Ausländer in Regensburg eine Fluchtgeschichte haben, nicht zuletzt die Menschen aus der Ukraine. Das kann dazu führen, dass viele zwar eine Arbeitserlaubnis erhalten, jedoch kaum einen Job finden, den sie ausüben können, etwa aufgrund sprachlicher oder psychischer Barrieren.
Die hohe Arbeitslosenquote unter Ausländerinnen und Ausländern trägt ebenfalls zur schlechteren materiellen Ausstattung dieser Gruppe bei. Sie ist zudem ein starker Hinweis auf ein erhöhtes Armutsrisiko unter ausländischen Menschen in Regensburg. Dass dieses keineswegs nur an einer geringeren Qualifikation ausländischer Arbeitnehmender liegen kann, verrät ein Blick auf bundesweite Zahlen. Die Armutsgefährdungsquote von Ausländern mit Abitur ist fast drei Mal so hoch wie die von Abiturienten ohne Migrationshintergrund (22,3 %; 8,5 %)40 – Benachteiligungen dieser Art wird im siebten Kapitel dieses Berichts weiter nachgegangen.
Da der Medianlohn von Ausländerinnen und Ausländern in Erwerbstätigkeit in Regensburg kaum höher ist als im bundesdeutschen Mittel, ist angesichts deutlich höherer Lebenshaltungskosten in der Stadt davon auszugehen, dass die Armutsgefährdung von Ausländern in Regensburg über diesem Wert (35,5 %) liegt.
Spätestens am Ende des Lebens können die großen Gehaltsunterschiede sich in sehr unterschiedlicher Betroffenheit von Altersarmut bemerkbar machen. Auch wenn die Unterschiede zwischen den mittleren Gehältern nur Hinweise auf finanzielle Armut während der Erwerbstätigkeit geben, zeigt sich in den Zahlen zu Langzeitleistungsbeziehenden, dass die Gehälter von Frauen und Ausländern in Regensburg überdurchschnittlich häufig nicht ausreichen. Vor allem Frauen sowie Ausländerinnen und Ausländer in Regensburg sind langfristig auf Sozialleistungen angewiesen. Als Langzeitleistungsbeziehende sind sie überdurchschnittlich häufig erwerbstätig.41
22 Bei den Berechnungen ist zu berücksichtigen, dass die Zahlen anders als bei Pay Gaps üblich aus dem Bruttomonatsentgelt von Vollzeitbeschäftigten und nicht aus dem durchschnittlichen Bruttostundenlohn berechnet wurden.
23 Bundesagentur für Arbeit (Hg.) 2015-2024: Sozialversicherungspflichtige Bruttomonatsentgelte Jahreszahlen 2014-2023 (https://statistik.arbeitsagentur.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Einzelheftsuche_Formular.html?topic_f=beschaeftigung-entgelt-entgelt&r_f=by_Regensburg; Zugriff: 26.02.2025)
24 Ebd.
25 Bundesagentur für Arbeit (Hg.) 2015-2024: Sozialversicherungspflichtige Bruttomonatsentgelte Jahreszahlen 2014-2023 (https://statistik.arbeitsagentur.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Einzelheftsuche_Formular.html?topic_f=beschaeftigung-entgelt-entgelt&r_f=by_Regensburg; Zugriff: 26.02.2025).
26 Bundesagentur für Arbeit (Hg.) 2024: Sozialversicherungspflichtige Bruttomonatsentgelte Jahreszahlen 2014-2023 (https://statistik.arbeitsagentur.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Einzelheftsuche_Formular.html?topic_f=beschaeftigung-entgelt-entgelt&r_f=by_Regensburg; Zugriff: 26.02.2025).
27 Bundesagentur für Arbeit (Hg.) 2024: Sozialversicherungspflichtige Bruttomonatsentgelte Jahreszahlen 2023 (https://statistik.arbeitsagentur.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Einzelheftsuche_Formular.html?topic_f=beschaeftigung-entgelt-entgelt&r_f=by_Regensburg; Zugriff: 21.11.2024).
28 Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2024: Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte am Arbeitsort nach Geschlecht, Nationalität und Beschäftigungsumfang – Stichtag 30.06.: Regionale Tiefe: Kreise und krfr. Städte (https://www.regionalstatistik.de/genesis//online?operation=table&code=13111-01-03-4&bypass=true&levelindex=0&levelid=1734530784377, Zugriff: 22.11.2024).
29 Ebd.
30 Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2024: Ergebnisse des Zensus 2022 – Demografie. (https://www.zensus2022.de/static/Zensus_Veroeffentlichung/Regionaltabelle_Demografie.xlsx; Zugriff: 22.11.2024).
31 Ebd.
32 Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2023: Studierende nach Geschlecht, Nationalität und Fächergruppen. Regionale Tiefe: Kreise und krfr. Städte. (https://www.regionalstatistik.de/genesis//online?operation=table&code=21311-01-01-4&bypass=true&levelindex=0&levelid=1732280310401#abreadcrumb; Zugriff: 22.11.2024).
33 Bundesagentur für Arbeit 2024: Sozialversicherungspflichtige Bruttomonatsentgelte (Jahreszahlen) 2023. (https://statistik.arbeitsagentur.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Einzelheftsuche_Formular.html?topic_f=beschaeftigung-entgelt-entgelt&r_f=by_Regensburg; Zugriff: 22.11.2024).
34 Bundesagentur für Arbeit (Hg.) 2024: Sozialversicherungspflichtige Bruttomonatsentgelte Jahreszahlen 2023 (https://statistik.arbeitsagentur.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Einzelheftsuche_Formular.html?topic_f=beschaeftigung-entgelt-entgelt&r_f=by_Regensburg; Zugriff: 21.11.2024).
35 Bundesagentur für Arbeit 2024: Langzeitleistungsbeziehende (LZB) – Zeitreihen (Monatszahlen). (https://statistik.arbeitsagentur.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Einzelheftsuche_Formular.html?topic_f=lzb-lzb-strukturen; Zugriff: 22.11.2024).
36 Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2024: Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte am Arbeitsort nach Geschlecht, Nationalität und Beschäftigungsumfang – Stichtag 30.06.: Regionale Tiefe: Kreise und krfr. Städte. (https://www.regionalstatistik.de/genesis//online?operation=table&code=13111-01-03-4&bypass=true&levelindex=0&levelid=1734530784377; Zugriff: 22.11.2024).
37 Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2024: Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte am Wohnort nach Geschlecht, Nationalität und Beschäftigungsumfang: Stichtag 30.06. – regionale Ebenen. https://www.regionalstatistik.de/genesis//online?operation=table&code=13111-04-02-4&bypass=true&levelindex=0&levelid=1732279535413#abreadcrumb; Zugriff: 22.11.2024).
38 Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2024: Gleichbehandlung der Geschlechter im Arbeitsleben. (https://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/ueber-diskriminierung/lebensbereiche/arbeitsleben/gleichbehandlung-der-geschlechter/gleichbehandlung-der-geschlechter.html#:~:text=Die%20Ursachen%20sind%20vielf%C3%A4ltig.,und%2Foder%20nicht%20tarifgebunden%20sind; Zugriff: 22.11.2024).
39 Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2024: Armutsgefährdungsquote nach Geschlecht und Altersgruppen (Landesmedian): Regionale Tiefe: Bundesländer (ab 2020) (https://www.regionalstatistik.de/genesis//online?operation=table&code=22811-Z-03&bypass=true&levelindex=0&levelid=1732281380590; Zugriff: 22.11.2024).
40 Statistisches Bundesamt 2024: Armutsgefährdungsquote nach Migrationshintergrund und ausgewählten Merkmalen (https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Migration-Integration/Tabellen/migrationshintergrund-armutsgefaehrdung.html; Zugriff: 26.02.2025).
41 Bundesagentur für Arbeit 2024: Langzeitleistungsbeziehende (LZB) – Zeitreihen (Monatszahlen) (https://statistik.arbeitsagentur.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Einzelheftsuche_Formular.html?topic_f=lzb-lzb-strukturen; Zugriff: 26.02.2025).
Erwerbstätigkeit schützt also auch in Regensburg nicht per se vor Armut. Umso schwerwiegender, wenn man seine Arbeit verliert oder keine (mehr) findet.
Die Arbeitsmarktprognosen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung stellen für den aktuellen Arbeitsmarkt bundesweit keine zeitnahen Verbesserungen in Aussicht (s. Abb. 10). Nach einem kurzen Aufschwung nach Ende der Corona-Pandemie zeigen dessen Prognosen seit Mitte 2022 nach unten. Während die Zahl der Arbeitslosen steigt, sinkt die Zahl der offenen Stellen seit April 2022 kontinuierlich.42 Im Oktober 2024 kamen auf knapp 2,8 Millionen Arbeitslose in Deutschland knapp 700.000 offene Arbeitsstellen.
Abbildung 10: IAB-Arbeitsmarkbarometer bis November 2024

Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 202443
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Arbeitslosigkeit in Regensburg im Vergleich mit anderen bayerischen Großstädten seit 2011 im Mittelfeld liegt. Die Arbeitslosenquote lag in der Stadt allerdings seit 2011 immer über dem bayerischen Durchschnittswert. Die Aussage aus dem Bericht zur sozialen Lage 2011, dass die Arbeitslosigkeit „verhältnismäßig gering“44 sei, ist also auch rückblickend zu relativieren.
Die Arbeitslosenquote in Regensburg war 2022 sowie 2023 niedriger als 2011. Lag diese bezogen auf alle abhängigen Erwerbspersonen 2011 noch bei 5,4 %, sank sie bis 2018 auf 3,5 %. Seitdem ist tendenziell ein Anstieg der Arbeitslosigkeit zu beobachten. Zwar fielen nach dem Hoch von 4,8 % im Jahr 2020 die Zahlen leicht, doch stiegen diese von 2022 auf 2023 wieder auf 4,5 %. Die bereits vorliegenden Zahlen für 2024 (bis einschließlich Oktober 2024) lassen vermuten, dass sich dieser Trend aktuell fortsetzt. Im Oktober 2024 war die Arbeitslosenquote (4,5 %) höher als im entsprechenden Monat 2011 (4,2 %).45
Abbildung 11: Arbeitslosenquoten der abhängigen Erwerbspersonen in Regensburg Januar 2011 – Oktober 2024

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von Daten der Bundesagentur für Arbeit 202446
Dass die Zahl der offenen Arbeitsstellen sinkt und deutlich unterhalb der Zahl der Arbeitslosen insgesamt liegt, trifft auch für Regensburg zu. Seit Oktober 2023 – dem Beginn der Arbeit am vorliegenden Bericht – verschärft sich die Auseinanderentwicklung dieser Zahlen deutlich (s. Abb. 12). Eine erfolgreiche Jobsuche in Regensburg wird also zunehmend schwieriger. Auch das spiegelte sich in den Interviews mit Armutsbetroffenen wider. Herr Y zum Beispiel, hatte als Koch zwischenzeitlich eine gut bezahlte Stelle als Küchenchef. Nach dem Verlust seines Arbeitsplatzes wurde die Suche nach einer neuen Arbeitsstelle für ihn pandemiebedingt schwer. Er hofft auf Besserung:
„Ja Gott sei Dank ist Scheiß Corona vorbei. Aber das hat mich halt einfach zurückgeworfen, weil die Gastronomen alle dicht gemacht haben oder nicht konnten. Jetzt geht es langsam wieder und ich hoffe, dass ich bald wieder einen guten Job in der Küche habe.“ (Herr Y, Pos. 17)
Abbildung 12: Arbeitslose und offene Stellen in Regensburg Januar 2011 – Oktober 2024

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von Daten der Bundesagentur für Arbeit 202447
Vergleicht man das Verhältnis der Arbeitslosenzahlen und jener der offenen Stellen in Regensburg mit dem in ganz Deutschland, so ist die Aussage, dass der Regensburger Arbeitsmarkt überdurchschnittlich gut aufgestellt ist, durchaus richtig: Mit 0,55 offenen Stellen kommen mehr als doppelt so viele Stellen auf einen Arbeitslosen wie bundesweit.
Dieses Fazit allein zeichnet jedoch, gerade im Kontext kommunaler Armutsforschung, kein vollständiges Bild der Lage. Die Arbeitslosigkeit in Regensburg steigt, während die Chancen, ihr zu entkommen, zusehends sinken. Steigende Arbeitslosigkeit bedeutet auch steigende Armut, zunehmende Existenzängste, geringere soziale Teilhabe und nicht zuletzt niedrigere Rentenansprüche. Das Armutsrisiko Arbeitslosigkeit nimmt auch in Regensburg zu.
Doch Arbeitslosigkeit hat für Betroffene weit mehr Konsequenzen als eine Verschlechterung der finanziellen Lage. In den Interviews wurde immer wieder deutlich, dass Arbeitslosigkeit mit erheblichen Folgen für das soziale und Innenleben der Betroffenen einhergeht.
Fehlt eine Erwerbstätigkeit, erleben Betroffene oft Langeweile und Eintönigkeit. Es fehlt ihnen ein Grund, das Haus zu verlassen, was in Verbindung mit dem Fehlen von Kontakten am Arbeitsplatz zu einer weiteren Ausgrenzung und Isolation führt.
Herr L zum Beispiel hatte zum Zeitpunkt des Interviews keine Beschäftigung und beschrieb, dass sich das ständige Zuhause-Sein negativ auf sein psychisches Wohlbefinden auswirkt. Er berichtete, an vom Jobcenter vermittelten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) teilgenommen zu haben, die einigen Menschen in seinem Bekanntenkreis geholfen hätten, da sie wieder eine Aufgabe hatten. Ihn bestätigten die ABMs aber eher in seiner Sinnkrise:
„Für mich war das halt nie das, was mir irgendwie Freude oder Aufgabe so bereitet hat, weil halt das so stupide Sachen waren einfach, die dann eher Pflicht waren und nicht irgendwas, wo man was draus ziehen kann.“ (Herr L, Pos. 50).
Drastischere Worte fand Herr Y:
„Dann kommst du wieder in irgendwelche Maßnahmen rein. Weil. Ja, die trauen dir das ja gar nicht zu. Und schon muss ich dann sechs Wochen irgendeinen scheiß Kurs mitmachen. Da, wo ich mir denke: Super, jetzt weiß ich, wie hier Word und sonstwas auf dem PC schreibt. Was mir aber absolut scheißegal ist, weil ich Koch bin und kochen kann. Also was bringt mir da dein Wordprogramm?“ (Herr Y, Pos. 78)
Hier berührt der vorliegende Bericht erstmals das Thema Einsamkeit: Die fehlenden finanziellen Mittel führen in vielen Fällen zu einem praktischen Ausschluss von sozialen Aktivitäten und Miteinander. Verstärkt wird dies durch Vorurteile gegenüber Armutsbetroffenen, mit denen sich zum Beispiel Arbeitslose konfrontiert sehen. So berichtete Herr O, dass ihn der Vorwurf, „auf Kosten anderer“ (Pos. 24) zu leben, sehr belaste. Mit derartigen Vorwürfen wird er auch in seiner Kernfamilie konfrontiert, was zu Zerwürfnissen führt. Auch Frau Ä leidet unter medial ausgeschlachteten Klischees zu Arbeitslosen:
„Generell, dass man das in so eine Schiene einschiebt, dass alle Hartz-IV-Empfänger nicht arbeitswillig sind. Das sind dann die Sendungen im Fernsehen. Das ist ein bestimmtes Klientel, sag ich jetzt mal, und das ist halt das, was die Leute eigentlich mitkriegen.“ (Frau Ä, Pos. 125).
Arbeitslos zu sein, bedeutet für die Betroffenen also weit mehr als das bloße Fehlen von Erwerbseinkommen. Die Möglichkeit einer sinnvollen Beschäftigung spielt eine zentrale Rolle für den Selbstwert der Menschen und auch soziale Teilhabe wird in einem bestimmten Umfang durch Erwerbstätigkeit garantiert, wie im zehnten Kapitel, dem zur psychosozialen Dimension von Armut, ausführlich dargestellt wird.
Mit Blick auf die Erkenntnisse zu den Einkommen von Frauen und Ausländern in Regensburg, soll nun ein Blick auf Arbeitslosigkeit speziell in diesen Gruppen geworfen werden. Zusätzlich wird die Gruppe der älteren Arbeitslosen (55-64 Jahre) untersucht, da sich Arbeitslosigkeit in diesem Alter oft besonders negativ auf die Rentenansprüche ausübt, also einen wesentlichen Faktor für Altersarmut darstellt.
Die Arbeitslosenquote von Männern liegt in Regensburg langfristig etwas über der von Frauen. Bis 2020 wuchs die Differenz zwischen der Quote von Männern und Frauen. Männer waren und sind also insgesamt stärker von Arbeitslosigkeit betroffen. Da die Differenz seit 2021 jedoch kontinuierlich sinkt und sich 2023 nahezu auf dem Niveau von 2011 befand, lässt sich aus der Entwicklung nicht folgern, dass von den jüngsten Entwicklungen ebenfalls vor allem Männer betroffen wären. Gegenüber 2020 sank die Arbeitslosenquote unter Männern um 0,7 Prozentpunkte, während sie bei Frauen um 0,2 Prozentpunkte zunahm.48 Von den Entwicklungen seit 2020 sind Frauen demnach tendenziell etwas stärker betroffen als Männer.
Abbildung 13: Arbeitslosenquoten in Regensburg nach Geschlecht (2011-2023)

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von Daten der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder 202449
Dass Frauen in Regensburg mit Problemen auf dem Arbeitsmarkt konfrontiert sind, zeigt sich auch in den Statistiken zu Langzeitleistungsbeziehenden, also jener Gruppe, die über einen längeren Zeitraum hinweg keine Arbeit findet oder langfristig von der eigenen Arbeit nicht leben kann und folglich Sozialleistungen in Anspruch nimmt. In Regensburg sind den Zahlen für April 2024 zufolge 58,7 % der Langzeitleistungsbeziehenden Frauen. In keinem Bundesland ist der Frauenanteil bei den Langzeitleistungsbeziehenden höher als in Bayern. Der Anteil in Regensburg ist selbst für bayerische Großstadtverhältnisse auffällig – nur in Würzburg war er größer.50
Durch die Datenlücke für ausländische Menschen in den Jahren 2017 und 2018 haben die folgenden Ausführungen partiell fragmentarischen Charakter.
Die Arbeitslosenquote unter Ausländern in Regensburg liegt deutlich über der durchschnittlichen Arbeitslosenquote in der Stadt. Bereits ab 2011 lässt sich eine ähnliche Entwicklung der Quote zum Durchschnitt beobachten, wobei Anstiege der durchschnittlichen Arbeitslosenquote unter ausländischen Menschen besonders stark ausfielen. So stieg auch 2020 die Arbeitslosigkeit in dieser Gruppe in Regensburg deutlich. Während aber von 2021 auf 2022 im Durchschnitt eine leichte Abnahme der Arbeitslosigkeit einsetzte, fand in der Gruppe der Ausländer keine Erholung statt – die Arbeitslosenquote blieb konstant. Vom Anstieg der Arbeitslosigkeit zwischen 2022 und 2023 waren sie wiederum besonders stark betroffen. Während die allgemeine Arbeitslosigkeit um 0,3 Prozentpunkte stieg, stieg sie bei den Ausländern um 0,7 Prozentpunkte.51
Abbildung 14: Arbeitslosenstatistik

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von Daten der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder52
Dass ausländische Menschen in Regensburg unter besonders hartnäckiger Arbeitslosigkeit leiden, zeigt sich auch daran, dass etwa die Hälfte aller Personen, die in Regensburg langfristig auf Bürgergeld angewiesen sind, Ausländer sind. Jedoch geht jeder vierte von ihnen einer Erwerbstätigkeit nach (s.o.).
Diese Zahlen sind ein weiterer Beleg für die deutlich schlechtere materielle Ausstattung dieser Gruppe in Regensburg.
Dass die Arbeitslosigkeit unter Regensburgern im Alter zwischen 55 und 64 im Jahr 2011 bei über 8 % lag, könnte ein Faktor sein, der zur hohen Altersarmut in der Stadt heute beiträgt. Bis einschließlich 2019 sank diese Quote deutlich auf 3,7 %, wobei zu bedenken ist, dass in dieser Statistik womöglich die hohe Zahl verdeckter Arbeitslosigkeit unter älteren Menschen nicht erfasst wird53 und viele arbeitslos gewordene Menschen die vorgezogene Altersrente in Anspruch nehmen. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Wahrnehmung dieser Option zuletzt seltener geworden ist, da die Möglichkeiten hierzu in den letzten Jahren stark eingeschränkt wurden.54
Die Arbeitslosenquote älterer näherte sich der jüngeren Menschen im erwerbsfähigen Alter an, welche seit 2011 etwa bei 3 % lag und tendenziell ebenfalls sank, wenn auch deutlich geringer. Die aktuelle Nachfrage nach jüngeren Arbeitnehmern in Regensburg zeigte sich auch in den überdurchschnittlich gestiegenen Löhnen dieser Alterskohorte in Regensburg.55
Während beide Alterskohorten 2020 einen deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verzeichnen hatten, blieb die jüngere Gruppe von weiteren Anstiegen verschont. Sie konnte in den postpandemischen Jahren einen Rückgang der Arbeitslosigkeit verzeichnen und die Arbeitslosigkeit in dieser Gruppe bewegt sich in Richtung des vorpandemischen Niveaus. Die Arbeitslosigkeit unter Älteren hingegen verlief gegenteilig. Nach 2020 kam es zu einem zwar leichten, aber erneuten Anstieg der Arbeitslosigkeit.56
Abbildung 15: Arbeitslosenquoten nach Alter in Regensburg

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von Daten der Bundesagentur für Arbeit 202457
Laut einem Bericht der Bundesagentur für Arbeit aus dem April 2022 ist die Arbeitslosenquote in der obersten Altersklasse bundesweit als einzige noch 2021 gestiegen, während bei allen anderen ein Rückgang zu beobachten war. Zwar verfügen ältere Arbeitslose im Schnitt über eine höhere Qualifikation als jüngere, jedoch gilt nach wie vor, „dass ältere Beschäftigte zwar weniger gefährdet sind, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, aber – ist Arbeitslosigkeit einmal eingetreten – geringere Abgangschancen haben“.58 Dies erklärt die Entwicklungen ab 2020: Demnach zwang die Corona-Pandemie viele Arbeitnehmer in die Arbeitslosigkeit. Auch wenn sie bei den Entlassungen während der Pandemie einen leichten Vorteil gegenüber Jüngeren hatten, waren unter den Entlassenen viele Ältere. Dass im Unterschied zur Gruppe der Jüngeren die Arbeitslosigkeit der ältesten Kohorte nach der Pandemie nicht zurückging, liegt im Arbeitsmarkt selbst begründet.
Zum jüngsten Anstieg 2023 finden sich bisher keine spezifischen Erklärungen für diese Altersgruppe. Eine These wäre, dass dies mit der allgemein steigenden Arbeitslosigkeit sowie dem digitalen Strukturwandel, möglicherweise sogar der Verbreitung Künstlicher Intelligenz, zusammenhängt. Der digitale Ausschluss vieler Seniorinnen und Senioren wird in Kapitel 9.3 erörtert.
Als Gründe, warum ältere Menschen für den Arbeitsmarkt häufig besonders unattraktiv, bzw. gegenüber jüngeren potenziellen Arbeitnehmern benachteiligt sind, werden in unterschiedlichen Quellen folgende Gründe aufgeführt:
Ältere Arbeitslose erhalten seltener Förderung durch arbeitsmarktpolitische Instrumente aus dem Rechtskreis des SGB III, aber auch aus dem des SGB II.59 Die Förderung älterer Arbeitsloser, insbesondere durch Maßnahmen wie Weiterbildungen und Eingliederungszuschüsse, erhöht jedoch ihre Chancen auf eine Beschäftigung deutlich. Ältere profitieren im Vergleich zu Jüngeren sogar stärker von solchen Maßnahmen. Trotz ihrer selteneren Teilnahme an geförderter Weiterbildung zeigen Wirkungsanalysen, dass betriebsnahe Maßnahmen besonders effektiv sind, da sie Barrieren wie Vorbehalte gegenüber Älteren überwinden. Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik helfen also, strukturelle Hürden zu beseitigen und die Wiedereingliederung zu unterstützen.60
Einer unserer Interviewpartner bei den Betroffeneninterviews – selbst bis kurz vor der Rente immer wieder von Arbeitslosigkeit betroffen – kritisierte diese Zustände an mehreren Stellen des Gesprächs. Er ergänzte allerdings auf Basis eigener Erfahrungen, dass die Maßnahmen, in die man vermittelt wird, häufig nicht dazu dienen, einen guten, passenden Job zu finden:
„Da kommt man hin und der Betreffende ist wie so ein Bittsteller, also wie ein armer Wurm und der wird sozusagen, manche werden dort auch als faule Schweine insgesamt bezeichnet oder betrachtet, nicht von allen, aber es gibt halt solche. […] Diese Diskussion ist ja sehr populistisch, weil wenn einer jetzt wirklich – also die Situation, dass einer nicht in Arbeit ist, ist nicht angenehm und jeder will irgendwas machen und hat bestimmte Vorstellungen und sucht, aber dann wird sofort abgeblockt: ‚Hier, da habe ich was, da wird was frei und da kannst du dann da reinkommen‘. Also so ist das, die werden dann irgendwo reingestopft.“ (Herr I, Pos. 27).
Unternehmen bevorzugen häufig jüngere Arbeitnehmer – aus Kostengründen, wegen (vermeintlicher) Produktivitätsvorteile und deren spezieller, meist digitaler Fähigkeiten. Zudem ist die Annahme, dass jüngere Menschen sich leichter in betriebliche Abläufe einfügen, weit verbreitet.61 Durch höhere Lohnkosten, die möglicherweise bei älteren Beschäftigten etwa aufgrund höherer Qualifikation anfallen könnten, schrecken Arbeitgeber ebenfalls oftmals vor deren Einstellung zurück. Umgekehrt gilt das berufliche und fachliche Wissen jüngerer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer häufig als aktueller, insbesondere im Bereich der EDV-Kenntnisse. Besonders Frauen ab 55 haben hier einer Befragung unter Jobcenter-Mitarbeitern zufolge sehr häufig das Nachsehen und finden nur schwer wieder eine Erwerbstätigkeit.62
Auch Frau E musste erfahren, dass für sie auf dem Arbeitsmarkt kein Bedarf herrscht:
„Weil das Arbeitsamt hat mich nur in eine Umschulung geschickt. Und dann zum Schluss haben sie nicht mehr weitergewusst. Sie können mich nicht vermitteln.“ (Frau E, Pos. 54).
Laut dem Gute-Arbeit-Index des Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) aus dem Jahr 2023 beschreiben nur 44 % der Arbeitnehmer ab 55 Jahren die eigene Gesundheit als gut oder sehr gut. Gerade bei körperlich belastenden Berufen geben nur 7 % der Arbeitnehmer an, davon auszugehen, bis zur Rente arbeiten zu können.63 Entsprechende Präventionsmaßnahmen gegen diese Folgen der Belastung werden nur 50 % der Befragten angeboten. Selbst wenn diese stattfinden, tragen sie, wenn überhaupt, nur minimal zur Belastungsreduzierung bei.
Maßgeblich begünstigt durch die obigen Faktoren verbleiben Ältere deutlich länger in der Arbeitslosigkeit als jüngere Menschen. Die lange Arbeitslosigkeit lässt viele ältere die Hoffnung aufgeben, noch einen Arbeitsplatz zu finden – häufig nicht zu Unrecht.64 Die daraus resultierende Langzeitarbeitslosigkeit wiederum ist an sich bereits ein erheblicher Nachteil bei der Jobsuche und geht mit Diskriminierung einher, indem Langzeitarbeitslosen mit der Dauer ihrer Arbeitslosigkeit zunehmend ihre Kompetenz sowie Lern- und Arbeitsbereitschaft abgesprochen wird.65
Arbeitslosigkeit, insbesondere Langzeitarbeitslosigkeit, erhöht mit steigender Dauer das Risiko von Depressionen oder körperlichen Krankheiten und senkt allgemein die Lebenserwartung deutlich.66 Somit beeinflussen die Folgen von (Langzeit-)Arbeitslosigkeit die Chancen auf einen neuen Job ebenfalls negativ. Spätestens hier entsteht der Teufelskreis von Arbeitslosigkeit im Alter, der, wie hier dargestellt, mit schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen und einem früheren Ableben einhergehen kann.
Eingedenk dieser Ausführungen ist es genauso besorgniserregend wie wenig überraschend, dass laut den aktuellen Zahlen für April 2024 jeder vierte Langzeitleistungsbeziehende in Regensburg älter als 55 Jahre alt ist. Dieser Anteil ist allerdings keine Regensburger Ausnahme, sondern für bayerische Verhältnisse durchschnittlich.
Obwohl auf dem Regensburger Arbeitsmarkt mehr Stellen pro arbeitslose Person zur Verfügung stehen als im bundesdeutschen Durchschnitt, stellt Regensburg insgesamt keine Ausnahme von der bundesweit steigenden Arbeitslosigkeit dar. Von diesen Entwicklungen, die häufig Armut bedeuten, sind vor allem Frauen, ausländische und ältere Menschen betroffen, wohingegen Jüngere, Deutsche und Männer mehr von der wirtschaftlichen Erholung nach der Pandemie profitierten und weniger von der zuletzt steigenden Arbeitslosigkeit betroffen sind.
Die jüngsten Entwicklungen von offenen Stellen und Arbeitslosen geben aktuell wenig Grund zu der Annahme, dass sich dieses Problem in Regensburg schnell wieder verflüchtigen wird. Diese zunehmenden Unterbrechungen bis Abbrüche von Erwerbsbiografien führen zu geringeren Rentenansprüchen und werden perspektivisch die Altersarmut weiter erhöhen. Wie sich die Sozialleistungen, die man bei Arbeitslosigkeit erhalten kann, in Bezug auf Armut entwickelt haben, soll im folgenden Abschnitt anhand der Entwicklungen in der Regelbedarfsstufe 1 geklärt werden.
42 Bundesagentur für Arbeit 2024: Aktuelle Eckwerte – Gemeldete Arbeitsstellen – Die aktuellen Entwicklungen in Kürze – Oktober 2024 (https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Navigation/Statistiken/Fachstatistiken/Gemeldete-Arbeitsstellen/Aktuelle-Eckwerte-Nav.html;jsessionid=DAC8E3EEA5DFBA8CB659E558048A3D34; Zugriff: 26.02.2025).
43 Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2024: IAB-Arbeitsmarktbarometer bis einschließlich Oktober 2024 (https://iab.de/daten/iab-arbeitsmarktbarometer/; Zugriff: 22.11.2024).
44 Amt für Stadtentwicklung Stadt Regensburg 2011: Bericht zur sozialen Lage 2011. Quantitative Analyse (https://www.regensburg.de/fm/121/stadt-regensburg-sozialbericht-2011.pdf; Zugriff: 04.01.2025), S. 27.
45 Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2024: Arbeitslose nach ausgewählten Personengruppen sowie Arbeitslosenquoten: Jahresdurchschnitt (ab 2009) – regionale Tiefe: Kreise und krfr. Städte (https://www.regionalstatistik.de/genesis//online?operation=table&code=13211-02-05-4&bypass=true&levelindex=0&levelid=1732295856372#abreadcrumb; Zugriff: 22.11.2024).
46 Bundesagentur für Arbeit 2024: Zeitreihen – Arbeitslosigkeit (https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Navigation/Statistiken/Interaktive-Statistiken/Zeitreihen/Lange-Zeitreihen-Nav.html?Fachstatistik%3Dalo%26DR_Gebietsstruktur%3Dkr%26Gebiete_Region%3DKreis%26DR_Region%3D09362000%26DR_Region_kr%3D09362000%26DR_RK%3Dinsg%26mapHadSelection%3Dfalse%26toggleswitch_saison%3D0; Zugriff: 21.11.2024).
47 Bundesagentur für Arbeit 2024: Zeitreihen – Arbeitslosigkeit (https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Navigation/Statistiken/Interaktive-Statistiken/Zeitreihen/Lange-Zeitreihen-Nav.html?Fachstatistik%3Dalo%26DR_Gebietsstruktur%3Dkr%26Gebiete_Region%3DKreis%26DR_Region%3D09362000%26DR_Region_kr%3D09362000%26DR_RK%3Dinsg%26mapHadSelection%3Dfalse%26toggleswitch_saison%3D0; Zugriff: 21.11.2024).
48 Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2024: Arbeitslose nach ausgewählten Personengruppen sowie Arbeitslosenquoten: Jahresdurchschnitt (ab 2009) – regionale Tiefe: Kreise und krfr. Städte (https://www.regionalstatistik.de/genesis//online?operation=table&code=13211-02-05-4&bypass=true&levelindex=0&levelid=1732295856372#abreadcrumb; Zugriff: 22.11.2024).
49 Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2024: Arbeitslose nach ausgewählten Personengruppen sowie Arbeitslosenquoten: Jahresdurchschnitt (ab 2009) – regionale Tiefe: Kreise und krfr. Städte (https://www.regionalstatistik.de/genesis//online?operation=table&code=13211-02-05-4&bypass=true&levelindex=0&levelid=1732295856372#abreadcrumb; Zugriff: 22.11.2024).
50 Bundesagentur für Arbeit 2024: Langzeitleistungsbeziehende (LZB) – Zeitreihen (Monatszahlen) (https://statistik.arbeitsagentur.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Einzelheftsuche_Formular.html?topic_f=lzb-lzb-strukturen; Zugriff: 26.02.2025).
51 Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2024: Arbeitslose nach ausgewählten Personengruppen sowie Arbeitslosenquoten: Jahresdurchschnitt (ab 2009) – regionale Tiefe: Kreise und krfr. Städte (https://www.regionalstatistik.de/genesis//online?operation=table&code=13211-02-05-4&bypass=true&levelindex=0&levelid=1732295856372#abreadcrumb; Zugriff: 22.11.2024).
52 Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2024: Arbeitslose nach ausgewählten Personengruppen sowie Arbeitslosenquoten: Jahresdurchschnitt (ab 2009) – regionale Tiefe: Kreise und krfr. Städte (https://www.regionalstatistik.de/genesis//online?operation=table&code=13211-02-05-4&bypass=true&levelindex=0&levelid=1732295856372#abreadcrumb; Zugriff: 22.11.2024).
53 Kaboth, Arthur/Brussig, Martin 2020: Arbeitslosigkeit im Alter bleibt oft verdeckt. In: Böckler Impuls 2/2020, S.3 (https://www.boeckler.de/data/Seiten%20aus%20impuls_2020_02_S3.pdf; Zugriff: 26.02.2025).
54 Institut Arbeit und Qualifikation 2024: Ältere Arbeitslose (55 bis unter 65 Jahre) 2001 – 2023 (https://www.sozialpolitik-aktuell.de/files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Arbeitsmarkt/Datensammlung/PDF-Dateien/abbIV77.pdf; Zugriff: 26.02.2025).
55 Bundesagentur für Arbeit 2021-2024: Sozialversicherungspflichtige Bruttomonatsentgelte (Jahreszahlen) 2020-2023 (https://statistik.arbeitsagentur.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Einzelheftsuche_Formular.html?topic_f=beschaeftigung-entgelt-entgelt&r_f=by_Regensburg; Zugriff: 26.02.2025).
56 Bundesagentur für Arbeit 2024: Arbeitslose – Kreise und Gemeinden (Monats- und Jahreszahlen ab 1998) (https://statistik.arbeitsagentur.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Einzelheftsuche_Formular.html?nn=1721552&topic_f=arbeitslose-kgd-ab1998; Zugriff: 26.02.2025).
57 Bundesagentur für Arbeit 2024: Arbeitslose – Kreise und Gemeinden (Monats- und Jahreszahlen ab 1998). (https://statistik.arbeitsagentur.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Einzelheftsuche_Formular.html?nn=1721552&topic_f=arbeitslose-kgd-ab1998; Zugriff: 26.02.2025).
58 Bundesagentur für Arbeit 2024: Situation Älterer am Arbeitsmarkt. In: Berichte: Blickpunkt Arbeitsmarkt (https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/Themen-im-Fokus/Demografie/Generische-Publikationen/Aeltere-amArbeitsmarkt.pdf?__blob=publicationFile; Zugriff: 26.02.2025).
59 DGB – Bundesvorstand 2024: Situation Älterer am Arbeitsmarkt (arbeitsmarktaktuell). (https://www.dgb.de/fileadmin/download_center/Studien/Arbeitsmarkt_Aktuell/Situation-AElterer-am-Arbeitsmarkt.pdf; Zugriff: 26.02.2025).
60 Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2021: Warum gerade ältere Arbeitslose die Jobsuche häufig einstellen. Befunde aus der IAB – Gesundheitsforschung (https://www.iab-forum.de/warum-gerade-aeltere-arbeitslose-die-jobsuche-haeufig-einstellen/; Zugriff: 22.11.2024).
61 Homrighausen, Pia/ Wolf, Katja 2018: Wiederbeschäftigungschancen Älterer: Wo Vermittlungsfachkräfte Handlungsbedarf sehen. IAB Kurzberichte (https://doku.iab.de/kurzber/2018/kb1118.pdf; Zugriff: 26.02.2025).
DGB – Bundesvorstand 2024: Situation Älterer am Arbeitsmarkt (arbeitsmarktaktuell) (https://www.dgb.de/fileadmin/download_center/Studien/Arbeitsmarkt_Aktuell/Situation-AElterer-am-Arbeitsmarkt.pdf; Zugriff: 26.02.2025).
61 Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2021: Warum gerade ältere Arbeitslose die Jobsuche häufig einstellen. Befunde aus der IAB – Gesundheitsforschung (https://www.iab-forum.de/warum-gerade-aeltere-arbeitslose-die-jobsuche-haeufig-einstellen/; Zugriff: 22.11.2024).
62 Homrighausen, Pia/ Wolf, Katja 2018: Wiederbeschäftigungschancen Älterer: Wo Vermittlungsfachkräfte Handlungsbedarf sehen. IAB Kurzberichte (https://doku.iab.de/kurzber/2018/kb1118.pdf; Zugriff: 26.02.2025).
63 DGB – Bundesvorstand 2024: Situation Älterer am Arbeitsmarkt (arbeitsmarktaktuell) (https://www.dgb.de/fileadmin/download_center/Studien/Arbeitsmarkt_Aktuell/Situation-AElterer-am-Arbeitsmarkt.pdf; Zugriff: 26.02.2025).
64 Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2021: Warum gerade ältere Arbeitslose die Jobsuche häufig einstellen. Befunde aus der IAB – Gesundheitsforschung (https://www.iab-forum.de/warum-gerade-aeltere-arbeitslose-die-jobsuche-haeufig-einstellen/; Zugriff: 22.11.2024).
65 Institut Arbeit und Qualifikation 2024: Langzeitarbeitslose 1993 – 2023 (https://www.sozialpolitik-aktuell.de/files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Arbeitsmarkt/Datensammlung/PDF-Dateien/abbIV43.pdf; Zugriff: 26.02.2025).
66 Oschmiansky, Frank/Berthold, Julia 2020: Folgen der Arbeitslosigkeit. Arbeitsmarktpolitik. (https://www.bpb.de/themen/arbeit/arbeitsmarktpolitik/305686/folgen-der-arbeitslosigkeit/#node-content-title-0; Zugriff: 26.02.2025).
Dass auch monetäre Sozialleistungen eine Form des Einkommens sind, ist Gegenstand intensiv geführter politischer Debatten. Diese drehen sich häufig um die Frage, ob Sozialleistungen, wie etwa das Bürgergeld, angesichts der Tatsache, dass viele mit ihrem Erwerbseinkommen mehr schlecht als recht über die Runden kommen, nicht ungerecht hoch seien. Die als zu hoch bewerteten Sozialleistungen sorgten dafür, dass immer weniger Menschen in Deutschland eine Erwerbstätigkeit aufnehmen möchten, was Deutschland als Wirtschaftsstandort erheblich schädige. Zudem würden als unzureichend bemängelte Disziplinarmöglichkeiten im Sozialrecht falsche Anreize schaffen, im Leistungsbezug zu verbleiben, anstatt wieder eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Dies schade Deutschland ebenfalls, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sozial, indem Arbeitnehmer über die Ungerechtigkeit dieses „leistungslosen Grundeinkommens“ so empört seien, dass der soziale Zusammenhalt ernsthaft gefährdet sei. Auch der Sozialstaat werde so „zerrissen“ (Linnemann, Generalsekretär der CDU), womit nahegelegt wird, dass „wirklich Bedürftige“ am Ende zu kurz kämen. Argumentativ legt diese Position also einen spezifischen Gerechtigkeitsmaßstab an und kritisiert mit diesem, dass Land und Leute an den aktuellen Zuständen großen Schaden nähmen.
In dieser Hinsicht unterscheidet sich diese Kritik nicht von der einer üblichen Gegenposition, die ihr Ungerechtigkeitsempfinden daran fest macht, dass sich von den gezahlten Leistungen bereits jetzt kein würdiges Leben – das ja jedem in Deutschland zustehe – finanzieren lasse. Weitere Kürzungen, wie sie die Gegenseite fordert, stellten also einen Exzess der Ungerechtigkeit dar. Diese „soziale Kälte“ schade ebenfalls dem sozialen Zusammenhalt und spalte die Gesellschaft. Höhere Sozialleistungen hingegen könnten auch der gebeutelten Volkswirtschaft zugutekommen, indem sie die lahmende Konjunktur ankurbeln.67 Land und Leute hätten also in Wahrheit einen Vorteil von höheren Sozialleistungen, indem sie bereits vorhandenen Schäden entgegenwirken, so diese Argumentation.
Sozialleistungen, die im Institutionenansatz als Indikatoren für Armut bzw. für „bekämpfte“ Armut herangezogen werden, unterliegen schon immer derartigen sozial- und wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen und Debatten. Dies macht ihre Verwendung, trotz der guten Verfügbarkeit, für die Armutsberichterstattung tendenziell schwierig. Wir wollen diese dennoch im weiteren Verlauf heranziehen, auch wenn die Positionen eines Zuviel oder Zuwenig an Leistungen aktuell politisch sehr aufgeladen ist. Die folgenden Ausführungen zu Sozialleistungen im Kontext von Armut sollen auf keiner der skizzierten Positionen fußen. Ihr Ziel ist es lediglich, die Entwicklungen monetärer Sozialleistungen in den letzten Jahren zu skizzieren und ihren Effekt auf Armut zu erläutern. Da knapp die Hälfte aller Arbeitslosen nach amtlicher Statistik als armutsgefährdet gilt und weitere einschlägige Untersuchungen deutlich machen, dass die aktuellen Regelsätze nicht „armutsfest“ sind68, wird den folgenden Ausführungen die Annahme zugrunde gelegt, dass Entwicklungen der Höhe und der Kaufkraft von Sozialleistungen für viele Armutsbetroffene unmittelbar relevant sind und einen erheblichen Einfluss auf deren monetäre Verwirklichungschancen haben.
Als besondere Entwicklung bei Sozialleistungen als Einkommen ist, gerade mit Blick auf Verwirklichungschancen, aktuell die Einführung der Bezahlkarte für Asylbewerber zu nennen. Auch wenn mit ihrer Einführung noch keine Reduktion des nominellen finanziellen Werts der Leistung einherging, war sie doch ein erheblicher Einschnitt in die finanziellen Verwirklichungschancen bestimmter in Deutschland lebender Menschen, indem das universelle Verwirklichungsmittel Geld zu einem großen Teil durch das sehr spezifische Verwirklichungsmittel einer den Warenkorb beschränkenden Bezahlkarte ersetzt wurde. Die durch finanzielle Mittel erreichbaren Functionings wurden also für eine bestimmte Gruppe politisch begrenzt. Befürworter wie Kritiker der Bezahlkarte sind sich darin einig, dass ihre Einführung eine erhebliche Wirkung hat. Befürworter hoffen, dass so endlich weniger Ausländer nach Deutschland fliehen – was gut für den sozialen Frieden sei; Kritiker bemängeln, dass so doch kein soziales Miteinander zu machen sei – die Bezahlkarte also schlecht für den sozialen Frieden sei (vgl. exemplarisch und regional die Debatte zwischen Pfeifer und Eckl in der Mittelbayerischen Zeitung vom 05.11.2024).69
Die wenige Monate nach Beschluss der Bezahlkarte beschlossenen Kürzungen bei Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AslybLG) sowie in Bayern beim Familien- und Pflegegeld sind – als direkter Einschnitt auf Seiten der finanziellen Capabilities – ebenfalls hervorzuheben. Es finden also politische Eingriffe in die finanziellen Potenziale auch Armutsbetroffener statt. Wer besonders auf finanzielle staatliche Hilfe angewiesen ist, ist besonders betroffen (und nicht selten besonders arm).
Davon ausgehend, dass die Armut in Regensburg gestiegen ist (siehe Ausführungen bis hierher und Kapitel Sozialstruktur), ist auffällig, dass die Mindestsicherungsquote – also der Bezug existenzsichernder Sozialleistungen – in Regensburg zwischen 2011 und 2021, wie im bayerischen Durchschnitt, gesunken ist. Erst 2022 stieg diese Quote, vermutlich als Folge des Zuzugs ukrainischer Geflüchteter, wieder an. Dies spricht für eine steigende Nichtinanspruchnahme sozialstaatlicher Leistungen in den letzten Jahren. Genaue Zahlen zu den Ausmaßen der Nichtinanspruchnahme in Regensburg liegen nicht vor. Aktuelle bundesweite Untersuchungen gehen von einer Nichtinanspruchnahmequote von 35-55 % beim Bürgergeld und 60 % bei Grundsicherung im Alter aus.70 Ein beträchtlicher Teil der Leistungsberechtigten macht seinen Anspruch demnach nicht geltend.
Die Höhe der Mindestsicherungsquote ist in Regensburg für bayerische Großstadt-Verhältnisse nicht auffällig und lag 2022 im Mittelfeld, befand sich jedoch noch 2016 auf dem drittletzten Platz.71 Der relative Bezug von mindestsichernden sozialstaatlichen Leistungen ist also in Regensburg in den letzten Jahren weniger stark gesunken als in anderen bayerischen Städten.
Dass jemand trotz Berechtigung keine Sozialleistungen in Anspruch nimmt, hat verschiedene Gründe. In Interviews mit Betroffenen und Experten wurde immer wieder von Scham, Unwissen und hohen bürokratischen Hürden berichtet. Diese „bürokratischen Hürden“ waren für einige Betroffene mit Diskriminierungserfahrungen auf den Ämtern verknüpft:
„Also wie gesagt, ich habe mir vom Sozialamt anhören müssen: ‚Dann wären Sie nicht drogensüchtig geworden‘.“ (Herr J, Pos. 10)
Die genannten Motive für die Nichtinanspruchnahme von Sozialleistungen decken sich mit Ergebnissen weiterer aktueller Forschung: „Im Ergebnis lässt sich die Nichtinanspruchnahme als Möglichkeit der Bewahrung von Vorläufigkeit, der Abkehr von Normalitätsvorstellungen im Zusammenhang mit Autonomiebestrebungen, der Entlastung von bürokratischen Hürden und der Abgrenzung von einem stigmatisierendem [sic!] System rekonstruieren“.72 Die hier anklingenden psychosozialen Aspekte von Armutsbetroffenheit werden in Kapitel 10 genauer analysiert.
Mit Blick auf die entsprechenden Leistungen als Einkommen von Privathaushalten ist vor allem die Entwicklung von deren Kaufkraft zu berücksichtigen. Hier fand von 2005 bis 2015 eine kontinuierliche Abwertung der Leistungen in der Regelbedarfsstufe 1, also den Leistungen für alleinstehende oder alleinerziehende Personen, die Anspruch auf Leistungen im Sinne des SGB II oder SGB XII haben, statt.73 Die Erhöhung der Regelbedarfssätze war niedriger als die der Preise – die Kaufkraft der Leistungen sank.
Von 2015 bis 2020 entsprach die Entwicklung der Regelbedarfssätze der allgemeinen Preisentwicklung. Die Kaufkraft blieb also auf dem Niveau, auf das sie von 2005 auf 2015 gesunken war. Während der Corona-Pandemie kam es in den Jahren 2020 und 2021 erstmals seit 2005 zu einem Kaufkraftzuwachs der Regelbedarfsleistungen, jedoch sank diese wiederum ab 2022 (Energiepreise und Inflation) drastisch.74
Ob die vieldiskutierte Erhöhung der Regelbedarfssätze zum Jahreswechsel 2024 die Kaufkraftverluste zwischen 2021 und 2023 kompensiert oder gar übertrifft, ist unter Ökonomen umstritten.75 Entsprechende Äußerungen aus den Interviews mit Betroffenen lassen nicht auf einen Kaufkraftzuwachs schließen.
„Das ist zwar jetzt erhöht worden um einiges. Wenn man es so sieht. Weil vorher habe ich um die 460 Euro. Und jetzt sind es fast 100 Euro mehr. Aber es ist auch alles sehr viel teuer geworden. Das, was man jetzt mehr hat, das ist eigentlich wieder weg.“ (Frau Ä, Pos. 14)
Einige beschrieben die Höhe des Bürgergelds nach wie vor als „nicht ausreichend“ (Herr L und Herr Z). Das Leben von der Leistung sei „schwierig, aber es muss ja gehen“ (Herr Z, Pos. 10).
„Damit kann ich nichts irgendwo zerreißen. Ich kann kulturell nichts mehr.“ (Herr H, Pos. 47)
Monetäre Sozialleistungen nach dem zweiten und zwölften Sozialgesetzbuch sind seit 2005 real entwertet worden. Folglich kam es seit dem letzten Berichtsjahr 2011 auch in Regensburg zu Kaufkraftverlusten der Gruppe von Personen, die auf Hartz IV/Bürgergeld bzw. Grundsicherung angewiesen sind. Gerade Personen, die langfristig auf Sozialleistungen angewiesen sind – also überdurchschnittlich häufig Frauen und Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft –, sind von dieser Entwicklung betroffen. Auch dies wird zu einer Verschärfung ungleicher Lebensverhältnisse in Regensburg beigetragen haben.
Dass eine große und womöglich steigende Zahl von Personen ihren Anspruch auf existenzsichernde Sozialleistungen nicht geltend macht, verweist zudem auf einen dringenden Handlungsbedarf.
67 Höfgen, Maurice 04.09.2024: Die Nullrunde ist falsch, Herr Heil! (https://www.geldfuerdiewelt.de/p/die-nullrunde-ist-falsch-herr-heil-buergergeld-inflation-spd-scholz; Zugriff: 22.11.2024).
68 Aust, Andreas 2022: Kurzexpertise der Paritätischen Forschungsstelle – Regelbedarfsermittlung 2022: Fortschreibung der Paritätischen Regelbedarfsforderung (https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Seiten/Presse/docs/Kurzexpertise_Fortschreibung_Regelbedarf2022.pdf; Zugriff: 26.02.2025).
Zander, Thomas/Franke, Martin 2022: Das neue Bürgergeld – ist es (un)möglich, Armut wirksam zu bekämpfen? WSI Blog (https://www.wsi.de/de/blog-17857-das-neue-buergergeld-ist-es-un-moeglich-armut-wirksam-zu-bekaempfen-44234.html)
69 Pfeifer, Daniel 2024: Kartentausch: Geflüchtete stehen Schlange für Bargeld, CSU-Politiker fordert Verbot. In: Mittelbayerische, 05.11.2024 (https://www.mittelbayerische.de/lokales/stadt-regensburg/kartentausch-gefluechtete-stehen-schlange-fuer-bargeld-csu-politiker-fordert-verbot-17349038; Zugriff: 26.02.2025).
70 Opielka, Michael/Wilke, Felix (Hg.) 2024: Der weite Weg zum Bürgergeld. Springer Fachmedien Wiesbaden. Wiesbaden, Heidelberg: Springer VS (Perspektiven der Sozialpolitik).
Wilke, Felix/Sielaff, Mareike 2023: Die Nichtinanspruchnahme von Grundsicherungsleistungen: Welche Rolle spielt die soziale Einbettung? Abschlussbericht zum FIS-Forschungsprojekt. Ernst-Abbe-Hochschule Jena (https://nc.eah-jena.de/s/JWAgxixDHR87Fqj; Zugriff: 21.03.2025).
Harnisch, Michelle 2019: Non-Take-Up of Means-Tested Social Benefits in Germany. In: SSRN Journal.
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2025: Neunter Altersbericht. Alt werden in Deutschland – Vielfalt der Potenziale und Ungleichheit der Teilhabechancen (https://www.bmfsfj.de/resource/blob/254238/0d174579dacc7e92f965d1205f56659d/neunter-altersbericht-bundestagsdrucksache-data.pdf; Zugriff: 26.02.2025).
71 Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2024: Regionalatlas – Mindestsicherungsquote (https://regionalatlas.statistikportal.de/?BL=DE&TCode=AI-S-02&ICode=AI2301; Zugriff: 22.11.2024).
72 Sielaff, Mareike/Wilke, Felix 2024: Die Nichtinanspruchnahme von Grundsicherung als Bewältigungsstrategie. In: Opielka. Michael/Wilke, Felix (Hg.): Perspektiven der Sozialpolitik. Der weite Weg zum Bürgergeld. Springer VS.
73 Schmitz-Kießler, Jutta/Sommer, Philip/Zink, Lina 2024: Entwicklung der Regelbedarfe der Grundsicherung, der Löhne und der Preise 2005 – 2023 (https://www.sozialpolitik-aktuell.de/files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Sozialstaat/Datensammlung/PDF-Dateien/abbIII44_Thema_Monat_04_2024.pdf; Zugriff: 26.02.2025).
74 Ebd.
75 Das arbeitgebernahe IW geht davon aus:
Schäfer, Holger/Schröder, Christoph/Seele, Stefanie 2024: IW-Kurzbericht 5/2024 – Bürgergeld und Preisentwicklung. Institut der Deutschen Wirtschaft Köln (https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Kurzberichte/PDF/2024/IW-Kurzbericht_2024-B%C3%BCrgergeld-und-Preise.pdf; Zugriff: 26.02.2025).
Der arbeitnehmernahe Ökonom Maurice Höfgen hingegen nicht:
Höfgen, Maurice 04.09.2024: Die Nullrunde ist falsch, Herr Heil! (https://www.geldfuerdiewelt.de/p/die-nullrunde-ist-falsch-herr-heil-buergergeld-inflation-spd-scholz; Zugriff: 22.11.2024).
Beim Institut für Arbeit und Qualifikation ist man unschlüssig:
Schmitz-Kießler, Jutta/Sommer, Philip/Zink, Lina 2024: Entwicklung der Regelbedarfe der Grundsicherung, der Löhne und der Preise 2005 – 2023 (https://www.sozialpolitik-aktuell.de/files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Sozialstaat/Datensammlung/PDF-Dateien/abbIII44_Thema_Monat_04_2024.pdf; Zugriff: 26.02.2025).
All die bis hier vorgestellten Faktoren – Erwerbseinkommen, Arbeitslosigkeit, Sozialleistungen – haben einen erheblichen Einfluss auf das Schwerpunktthema dieses Berichts: Altersarmut. Diese nimmt bundesweit seit 2018 deutlich zu, und Personen über 65 Jahren sind nach wie vor die Altersgruppe mit den niedrigsten Nettoäquivalenzeinkommen in Deutschland.76
Hinzu kommt, dass sich strukturelle Rahmenbedingungen weiter verschärfen. Aktuelle Herausforderungen wie der demografische Wandel – immer weniger Beitragszahler finanzieren immer mehr Rentner – stellen das System der gesetzlichen Rentenversicherung vor Probleme. Um das Rentenniveau von 48 % zu sichern, hat die Bundesregierung im Jahr 2024 das Rentenpaket II beschlossen. Dieses sieht unter anderem die Einführung eines Generationenkapitals vor, das die ab 2028 erwarteten, deutlichen Anstiege der Rentenbeiträge leicht abfedern soll.77
Die Frage, inwieweit die Maßnahmen des Rentenpakets II ausreichen, um die soziale Absicherung im Alter zu gewährleisten und Altersarmut zu verhindern, ist Thema kontroverser Debatten. Kritisiert wird zudem, dass der für die Kapitalanlage zuständige Staatsfonds KENFO das Geld unter anderem in private Pflegeunternehmen oder Unternehmen wie Vonovia, Shell und Nestlé investiert. So würden über Einsparungen bei Pflegeleistungen oder Erhöhung der Pflegekosten realisierte Gewinne zwar der Rentenkasse zugutekommen, Rentner und deren Angehörige wären jedoch gleichfalls Leidtragende dieser Gewinnerzielung – etwa aufgrund von zur Profitsteigerung vorgenommener Einsparungen im Pflegebereich oder Mieterhöhungen.78
Im Vordergrund der Debatten, die die Verabschiedung des Rentenpakets II begleiteten, stand das Ziel, weitere Absenkungen des Rentenniveaus zu vermeiden und den Status Quo langfristig zu erhalten. Auf den folgenden Seiten soll beleuchtet werden, wie genau sich der Status Quo der gesetzlichen Rentenversicherung in Regensburg ausgestaltet und was dieser mit Altersarmut zu tun haben könnte.
Mit knapp 8 % der über 65-jährigen bezogen in kaum einer anderen Stadt Rentner so häufig Leistungen zur Grundsicherung im Alter wie in Regensburg.79 In Bayern – dem Bundesland mit der höchsten Armutsgefährdung im Alter (21,4 %)80 – war die Grundsicherungsquote in Großstädten nur in Nürnberg höher.
Hier fallen bereits zwei Aspekte auf. Erstens: Altersarmut scheint in Regensburg ein besonders großes Problem zu sein, was auch die Interviews mit den Experten nahelegten. Diese betonten, dass es gerade in den letzten Jahren zu einer Verschärfung der Altersarmut in Regensburg gekommen sei. In den Worten von Sozialbürgermeisterin Dr. Freudenstein:
„Es ist aber auch so, dass die Frauen, hier speziell nochmal in der Oberpfalz, sehr kleine Renten haben. Das heißt, wir sind hier nicht auf der Insel der Seligen, zumal in einer Stadt, die ja auch teuer wird. Also momentan geht da schon was auseinander.“ (Sozialbürgermeisterin Dr. Freudenstein, Pos. 31)
Steigende Altersarmut wirkt sich direkt auf Gesundheit und soziale Teilhabe aus – Themen, die in eigenen Kapiteln (8. Gesundheit, 9. Teilhabe) vertieft werden.
Zweitens fällt auf, dass die Ausmaße der Armutsgefährdung (21,4 % der über 65-jährigen in Bayern) weit unterhalb des Grundsicherungsbezugs (3,4 % in Bayern) liegen. Auf gut sechs Armutsbetroffene über 65 kommt also eine Person, die Grundsicherung in Anspruch nimmt (siehe Abb. 16). Zwar ist nicht davon auszugehen, dass jeder der in der Statistik als armutsbetroffen angegebenen über 65-jährigen Anspruch auf grundsichernde Leistungen hat, doch legt diese Rechnung nahe, dass die Nichtinanspruchnahme von Sozialleistungen in dieser Alterskohorte besonders hoch ist (Zum Vergleich: Alle anderen Alterskohorten in Bayern weisen niedrigere Armutsgefährdungsquoten auf, während die SGB II – Quote (4,1 %) höher ist als die SGB XII – Quote (3,4 %)).81
Abbildung 16: Verlauf Armutsgefährdung und SGB XII – Bezug in Bayern

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von Daten der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder 202482
Nimmt man das bayerische Verhältnis als Grundlage, ergäbe sich hypothetisch eine Armutsgefährdung von knapp 48,5 % unter Rentnern in der Stadt. Bei Frauen über 65 läge sie so berechnet bei 53,9 %, bei Männern bei 38,2 %.83 Diese Unterschiede können als Resultat der geschlechtsspezifischen Einkommensunterschiede in Regensburg gedeutet werden. Auffällig ist, dass trotz dieser Unterschiede der SGB XII-Bezug von Frauen in Regensburg fast genauso hoch ist wie der von Männern – ein Indiz für eine besonders hohe Nichtinanspruchnahmequote unter älteren Frauen. Experten berichteten, dass ältere Frauen in Regensburg jedoch besonders häufig an Freizeitangeboten teilnehmen. Über Altersarmut bei Frauen und (fehlende) unterstützende Angebote in Regensburg schreibt Roxana Wolf in ihrer Bachelorarbeit.
Roxana Wolf
Altersarmut ist strukturell betrachtet meistens auf eine Verflechtung systembedingter Ungleichbehandlungen, tradierter Rollenvorstellungen und fehlender politischer Reformbereitschaft zurückzuführen. Frauen sind besonders betroffen, da sich geschlechtsspezifische Unterschiede im Alter enorm verstärken können.
Das deutsche Rentensystem koppelt die Rentenhöhe an die Erwerbsbiografie – einer Erwerbstätigkeit wird bestenfalls ununterbrochen und in Vollzeit nachgegangen. Armutsrisikoverschärfend wirken also prekäre Beschäftigungsverhältnisse in Niedriglohn oder Teilzeit, unterbrochene Erwerbsverläufe aufgrund von Care-Arbeit, die von Grund auf ungleiche Bezahlung zwischen Männern und Frauen mit direkter Auswirkung auf den Gender Pension Gap, sowie die strukturelle Verfestigung geschlechtsstereotyper Einkommensverteilung durch steuerrechtliche Instrumente wie etwa das Ehegattensplitting. All diese Risikofaktoren betreffen Frauen in hohem Maße. Private Altersvorsorge verschafft wenig Abhilfe, da Frauen mit hohem Armutsrisiko während ihres Erwerbslebens selten ausreichend sparen können. Prognosen deuten darauf hin, dass insbesondere weibliche Altersarmut durch demografische Entwicklungen, Inflation und strukturelle Benachteiligung zunehmen wird.
Unterstützungsangebote im Raum Regensburg für ältere Menschen und/oder armutsbetroffene Gruppen sind zwar vorhanden, jedoch meist an eine breite Zielgruppe gerichtet. Nennenswerte Angebote für Seniorinnen und Senioren sind dabei besonders der Lichtblick Seniorenhilfe e.V. in Deggendorf und der Rengschburger Herzen e.V. in Regensburg. Spezifische Hilfen für altersarme Frauen fehlen jedoch völlig.
Geschlechtsspezifische und altersbedingte Risiken machen es dringend erforderlich, gezielte Unterstützungsangebote für Frauen zu schaffen, um das steigende Armutsrisiko abzufedern.
Auch in Regensburg deutet sich also an, dass viele Rentner ihren Anspruch auf Sozialleistungen nicht geltend machen. Das Problem der Nichtinanspruchnahme von Sozialleistungen durch Senioren wurde auch von den interviewten Experten häufig thematisiert. Für das Ausbleiben der Inanspruchnahme wurden unterschiedliche Gründe genannt:
Das Problem der besonders hohen Nichtinanspruchnahme von Sozialleistungen durch Senioren bestätigt auch der neunte Altersbericht der Bundesregierung. Dieser geht auf Basis von Simulationsrechnungen davon aus, dass etwa 60 % der Berechtigten ihre Ansprüche nicht geltend machen. Bei diesen handelt es sich häufig um „verwitwete Personen, Personen ohne eigenen gesetzlichen Rentenanspruch und Personen mit eigenem Wohneigentum“.84
Die schlechtere materielle Ausstattung ausländischer Staatsbürger im Rentenalter zeigt sich dagegen deutlich in den Zahlen zum SGB XII – Bezug. 2021 bezogen 25,0 % aller in Regensburg lebender Ausländer über 65 Jahren grundsichernde Leistungen nach dem SGB XII. Nur in Nürnberg (28,5 %) und Würzburg (45,7 %) waren diese Werte höher. Als Folge des Zuzugs ukrainischer Geflüchteter stieg diese Zahl 2022 auf 31,8 % an.85
Abbildung 17: SGB XII – Bezug Ausländer in Regensburg

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von Daten der Bertelsmann-Stiftung 202486
Dem neunten Altersbericht der Bundesregierung zufolge ist der hohe Grundsicherungsbezug älterer ausländischer Staatsbürger vor allem auf deren besonders niedrige oder nicht vorhandene Ansprüche auf eine GRV-Rente oder Leistungen aus anderen Alterssicherungssystemen zurückzuführen. Anders als in der Gruppe deutscher Staatsbürger zeigt sich die stärkere Armutsbetroffenheit älterer ausländischer Frauen in den bundesweiten Zahlen zum Grundsicherungsbezug.87
Die hohe Nichtinanspruchnahme von Sozialleistungen verschärft die materielle Unsicherheit vieler älterer Menschen. Gerade für jene, die trotz eines Anspruchs auf Grundsicherung keine Leistungen beantragen, bleibt oft nur die eigene Rente als finanzielle Basis. Viele Betroffene, mit denen wir sprachen, äußerten, dass ihre Rentenzahlungen nicht ausreichen und nicht im Verhältnis zur geleisteten Arbeit stehen. Manche kommen sich dabei „regelrecht abgezockt“ vor (Herr Ü, Pos. 44).
„Ich habe elf Jahre im Ausland gelebt, habe dort gearbeitet, praktisch für ein anderes Land, bekomme hier ganz wenig Rente. Mein Mann war Ausländer, ist verstorben und er hat hier sieben Jahre gearbeitet. Also fehlen uns 36 Jahre an der Rente.“ (Frau W, Pos. 4)
Erwerbstätigkeit im Ausland, wie sie im Zuge der Globalisierung häufiger wird, könnte also zu verminderten Rentenzahlungen führen. Generell seien die Renten einfach zu niedrig:
„Regelrente, was ich habe, komm ich nicht weit. Absolut nicht. Obwohl ich mit 13 Jahren angefangen habe zu arbeiten, einige Berufe erlernt, gelernt habe.“ (Herr Ü, Pos. 8)
Aber stimmt diese Beobachtung allgemein, dass in einer Stadt mit prosperierender Wirtschaft so niedrige Renten gezahlt werden? Oder, in den Worten eines Betroffenen:
„Wieso hat ein Rentner, der jahrelang gearbeitet hat – und es gibt ja auch noch andere außer mir, die halt dann noch im Müllcontainer oder in den Abfallbehältern Flaschen sammeln gehen müssen?“ (Herr H, Pos. 35)
Dass sich mit der gesetzlichen Altersrente allein der Lebensstandard aus der Zeit der Erwerbstätigkeit nicht halten lässt, gilt in ganz Deutschland.88 Wie stark die Auswirkungen auf den Lebensstandard ausfallen, ist jedoch regional sehr unterschiedlich. Besonders im Bundesland Bayern werden die überdurchschnittlich hohen Lebenshaltungs-, sprich Mietkosten, nicht durch höhere Rentenzahlbeträge kompensiert, was sich negativ auf die Kaufkraft auswirkt.
Dass Bayern in der Statistik als Epizentrum der Altersarmut erscheint, ist somit nicht verwunderlich (s.o.). Die drei Gebiete, die in Bayern 2021 die niedrigste Rentenkaufkraft aufwiesen, sind Garmisch-Partenkirchen, das Berchtesgadener Land und die teure, kreisfreie Stadt Regensburg mit je 862 € – knapp 17 % unter dem Bundesdurchschnitt. Zum Vergleich: Die höchste Kaufkraft lag mit 1.437 € in Gera.89
Die Platzierung Regensburgs im Kaufkraftvergleich erklärt sich zum einen durch die deutlich höheren Lebenshaltungskosten in der Stadt, zum anderen durch einen um knapp 70 € unter dem Bundesdurchschnitt liegenden Rentenzahlbetrag von 921 €. Ob und inwiefern die häufig anzutreffende Behauptung zutrifft, Rentner in Regensburg hätten traumhaft niedrige Mieten, also geringere Lebenshaltungskosten, wird in Kapitel 6 geklärt.
Mit Blick auf die bisherigen Ausführungen ist davon auszugehen, dass Frauen und Ausländer in Regensburg materiell überdurchschnittlich häufig schlecht ausgestattet sind. Dies trifft auch auf Bundesebene zu. Der neunte Altersbericht der Bundesregierung betont die deutlich erhöhte Armutsgefährdung älterer Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft und mit Migrationshintergrund: „Besonders starke Unterschiede bestehen indes nicht in erster Linie zwischen Geschlechtern oder Regionen, sondern vor allem zwischen älteren Menschen mit und ohne deutsche Staatsangehörigkeit beziehungsweise mit und ohne Migrationshintergrund“90.
Tabelle 1: Armutsgefährdungsquoten (Altersgruppe 65 Jahre und älter) nach Staatsangehörigkeit (2022)

Quelle: Eigene Darstellung nach BMFSFJ 202591
Neben den genannten Gruppen – Frauen und Ausländer – sind alleinlebende Rentner besonders betroffen. Ohne eine zweite Rente fallen Fixkosten – insbesondere für Miete – schwerer ins Gewicht. Doch gerade verwitwete Personen nehmen ihnen zustehende finanzielle Unterstützung besonders selten in Anspruch. Wie sich die Zahl alleinlebender Rentner in Regensburg entwickelt hat, ist Thema in Kapitel 6.
Festhalten lässt sich, dass Regensburg im innerbayerischen Vergleich besonders niedrige Renteneinkünfte aufweist, was die wirtschaftliche Lage vieler Rentner verschärft. Die Kombination aus niedrigen Rentenzahlbeträgen und hohen Lebenshaltungskosten macht Regensburg vermutlich zu einer der am stärksten von Altersarmut betroffenen Städte Bayerns.
76 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2025: Neunter Altersbericht. Alt werden in Deutschland – Vielfalt der Potenziale und Ungleichheit der Teilhabechancen (https://www.bmfsfj.de/resource/blob/254238/0d174579dacc7e92f965d1205f56659d/neunter-altersbericht-bundestagsdrucksache-data.pdf; Zugriff: 26.02.2025).
77 Bundesregierung 2024: Entwurf eines Gesetzes zur Stabilisierung des Rentenniveaus und zum Aufbau eines Generationenkapitals für die gesetzliche Rentenversicherung: Rentenniveaustabilisierungs- und Generationenkapitalgesetz (https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetze/Regierungsentwuerfe/reg-stabilisierung-rentenniveau-generationenkapital.pdf?__blob=publicationFile&v=1; Zugriff: 06.03.2025).
78 Brunnengräber, Achim/Denk, Albert 2024: Generationenkapital: Der Staat als Zocker. Blätter für deutsche und internationale Politik, 69(4), S. 9–12 (https://www.blaetter.de/ausgabe/2024/april/generationenkapital-der-staat-als-zocker; Zugriff: 26.02.2025).
79 Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2024: Grundsicherungsquote ab Altersgrenze 2023. Regionalatlas (https://regionalatlas.statistikportal.de/?BL=DE&TCode=AI-S-02&ICode=AI2301#; Zugriff: 26.02.2025).
80 Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2024: Armutsgefährdungsquote nach Geschlecht und Altersgruppen (Landesmedian): Regionale Tiefe: Bundesländer (ab 2020) (https://www.regionalstatistik.de/genesis//online?operation=table&code=22811-Z-03&bypass=true&levelindex=0&levelid=1732281380590; Zugriff: 26.02.2025).
81 Statistische Ämter des Bundes und der Länder (Hg.) 2024: Armutsgefährdungsquote nach Geschlecht und Altersgruppen (Landesmedian): Regionale Tiefe: Bundesländer (ab 2020) (https://www.regionalstatistik.de/genesis//online?operation=table&code=22811-Z-03&bypass=true&levelindex=0&levelid=1732281380590; Zugriff: 22.11.2024).
Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2024: SGB II-Quote bis Altersgrenze (https://regionalatlas.statistikportal.de/?BL=DE&TCode=AI-S-02&ICode=AI2301; Zugriff: 22.11.2024).
82 Statistische Ämter des Bundes und der Länder (Hg.) 2024: Armutsgefährdungsquote nach Geschlecht und Altersgruppen (Landesmedian): Regionale Tiefe: Bundesländer (ab 2020) (https://www.regionalstatistik.de/genesis//online?operation=table&code=22811-Z-03&bypass=true&levelindex=0&levelid=1732281380590).
Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2024: SGB II-Quote bis Altersgrenze (https://regionalatlas.statistikportal.de/?BL=DE&TCode=AI-S-02&ICode=AI2301; Zugriff: 22.11.2024).
83 Diese Hochrechnung dient lediglich der Veranschaulichung. Genaue lokale Daten fehlen (siehe auch Kapitel 4).
84 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2025: Neunter Altersbericht. Alt werden in Deutschland – Vielfalt der Potenziale und Ungleichheit der Teilhabechancen (https://www.bmfsfj.de/resource/blob/254238/0d174579dacc7e92f965d1205f56659d/neunter-altersbericht-bundestagsdrucksache-data.pdf; Zugriff: 26.02.2025), S. 77.
85 Bertelsmann Stiftung 2024: Wegweiser Kommune Altersarmut – Ausländer:innen (https://www.wegweiser-kommune.de/daten/altersarmut-auslaender+regensburg+nuernberg+wuerzburg+augsburg+erlangen+fuerth+muenchen+2011-2022+liniendiagramm; Zugriff: 22.11.2024).
86 Bertelsmann-Stiftung 2024: Wegweiser Kommune. Altersarmut – Ausländer:innen (https://www.wegweiser-kommune.de/daten/altersarmut-auslaender+regensburg+nuernberg+wuerzburg+augsburg+erlangen+fuerth+muenchen+2011-2022+liniendiagramm; Zugriff: 22.11.2024).
87 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2025: Neunter Altersbericht. Alt werden in Deutschland – Vielfalt der Potenziale und Ungleichheit der Teilhabechancen (https://www.bmfsfj.de/resource/blob/254238/0d174579dacc7e92f965d1205f56659d/neunter-altersbericht-bundestagsdrucksache-data.pdf; Zugriff: 26.02.2025).
88 Dismond, Leilah/Ehrentraut, Oliver/Moog, Stefan 2023: Regionale Rentenkaufkraft: Wo Menschen am meisten von ihren Renteneinkommen haben (https://www.gdv.de/resource/blob/162910/f1d7643577327ab3af2bf47780148a76/prognos-studie-rentenkaufkraft-data.pdf; Zugriff: 26.02.2025).
89 Ebd.
90 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2025: Neunter Altersbericht. Alt werden in Deutschland – Vielfalt der Potenziale und Ungleichheit der Teilhabechancen (https://www.bmfsfj.de/resource/blob/254238/0d174579dacc7e92f965d1205f56659d/neunter-altersbericht-bundestagsdrucksache-data.pdf; Zugriff: 26.02.2025), S. 64.
91 BMFSFJ 2025: Neunter Altersbericht. Alt werden in Deutschland – Vielfalt der Potenziale und Ungleichheit der Teilhabechancen (https://www.neunter-altersbericht.de/fileadmin/Redaktion/Bericht_Broschuere_Deckblaetter/neunter-altersbericht-bundestagsdrucksache_final.pdf; Zugriff: 21.01.2025), S. 65.
Insgesamt zeigt sich, dass finanzielle Unsicherheiten in Regensburg in den letzten Jahren zugenommen haben. Hohe Lebenshaltungskosten und stagnierende oder sinkende Reallöhne setzen viele Regensburger Haushalte unter Druck. Während einige Berufsgruppen von Lohnsteigerungen profitieren, bleibt für viele das verfügbare Einkommen hinter der allgemeinen Preisentwicklung zurück. Besonders betroffen sind Beschäftigte im Niedriglohnsektor, Frauen, ältere Menschen und ausländische Arbeitnehmende, die nicht nur im Schnitt deutlich geringere Einkünfte haben, sondern oft auch in unsichereren Beschäftigungsverhältnissen arbeiten.
Die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt verschärfen diese Problematik. Zwar liegt die Arbeitslosenquote in Regensburg unter dem Bundesdurchschnitt, doch ihr seit einiger Zeit konstantes Wachstum bei gleichzeitigem Rückgang der offenen Stellen verweist auf eine problematische, sich verschärfende Entwicklung. Zudem reichen Sozialleistungen, deren Kaufkraft über die Jahre gesunken ist, oft nicht aus, um ein angemessenes Leben zu ermöglichen. Gleichzeitig zeigt sich, dass selbst Erwerbstätigkeit bei weitem kein sicherer Schutz vor finanzieller Unsicherheit respektive Armut ist.
Diese Entwicklungen sind vor dem Hintergrund des demografischen Wandels besonders relevant. Die Zahl älterer Menschen wird in den kommenden Jahren auch in Regensburg deutlich steigen, während die Gruppe der Erwerbstätigen schrumpft. Dies wird nicht nur den Arbeitsmarkt verändern, sondern auch die Altersarmut weiter verschärfen. Gerade für Menschen mit niedrigen Löhnen und unsteten Erwerbsverläufen droht eine Zukunft mit (besonders) unzureichenden Rentenansprüchen.
Der Capability Approach macht deutlich, dass Armut nicht nur als Mangel an Geld verstanden werden kann, sondern auch als eine (daraus resultierende) Einschränkung von Handlungsmöglichkeiten. Wer einen Großteil seines Einkommens für Miete und Grundkosten aufbringen muss, hat kaum Spielraum für langfristige Planung oder unerwartete Ausgaben. Doch finanzielle Unsicherheit wirkt nicht nur auf Konsumverhalten oder finanzielle Planbarkeit, sondern greift tiefer in das Leben Betroffener ein. Steigende Mieten belasten besonders diejenigen, die ohnehin einen Großteil ihres Einkommens für Grundbedürfnisse aufwenden müssen, und können am Monatsende regelmäßig zu existenziellem Stress führen. Prekäre Arbeitsbedingungen hinterlassen nicht nur wirtschaftliche Spuren, sondern auch gesundheitliche – sei es durch körperliche Belastungen, ungesicherte Arbeitsverhältnisse oder den Druck, krank zur Arbeit zu gehen. Arbeitslosigkeit und die Nichtinanspruchnahme von Sozialleistungen sind eng mit Einsamkeit und Scham verknüpft: Armut drückt sich also nicht nur als materielle Herausforderung aus, sondern greift auch tief in das soziale und psychische Leben sowie Erleben der Betroffenen ein. Viele verlieren mit ihrem Arbeitsplatz nicht nur ihr Einkommen, sondern auch soziale Kontakte und feste Alltagsstrukturen. Dies führt oft zu Einsamkeit, da das soziale Netz schrumpft und Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe wegfallen. Gleichzeitig ist Scham ein zentrales Hindernis für Unterstützung: Viele vermeiden den Gang zu sozialen Einrichtungen oder lehnen ihnen zustehende Unterstützungsleistungen ab, weil sie sich nicht als arm wahrnehmen wollen oder Angst vor Stigmatisierung haben. Wie genau sich finanzielle Armut auf Wohnen, Gesundheit, gesellschaftliche Teilhabe und das individuelle Erleben auswirkt, wird Gegenstand der folgenden Kapitel sein.
Handlungsempfehlungen an die Stadt lassen sich auf dieser finanziellen Ebene aufgrund des beschränkten Handlungsspielraums von Kommunen in dieser Hinsicht nur schwer aussprechen. Festgehalten werden soll an dieser Stelle ein Wunsch, den ein Betroffener im Interview mit uns äußerte:
„Also es wäre gut, wenn die Stadt was gegen die allgemeine Stimmung macht, die irgendwie die Asylbewerber und die Niedriglohnarbeiter und Hartz IV und so alle gegeneinander ausspielt. Sondern darauf aufmerksam machen würde, wo eigentlich das Geld herkommen könnte, damit wir alle gut leben könnten und das wäre halt eher von oben, anstatt von unten wegzunehmen.“ (Interview 32, Herr L, Pos. 74)
Ursachen und Entwicklungen finanzieller Armut in Regensburg
Bachelorarbeit
Globale Ungleichheit im Mikrokosmos der Hochschule OTH Regensburg am Beispiel der Toilette.
Masterarbeit
Bachelorarbeit