Regensburg gilt als eine wohlhabende, wirtschafts- und infrastrukturstarke Stadt. Mehr als eine Million Touristinnen und Touristen reisen jährlich in die UNESCO-Welterbestadt, insbesondere um den mittelalterlichen Altstadtkern der „nördlichsten Stadt Italiens“ zu besichtigen. 2024 schaffte es die Stadt Regensburg in einem Ranking des Wirtschaftsinstituts Prognos auf Platz 5 der lebenswertesten Städte Deutschlands.1 Der Wirtschaftsstandort ist mit einer Vielzahl an Großunternehmen und einem lebendigen Mittelstand stabil und attraktiv. Die Universität, die OTH und die HfKM Regensburg stehen für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Innovation.
Doch hinter Weltkulturerbe, prachtvollen Bauten, fortschreitendem Wirtschaftswachstum, großer Prosperität und buntem studentischem Leben verbirgt sich in Regensburg eine Realität, die für viele ungesehen bleibt: Nicht wenige Regensburgerinnen und Regensburger leben in Armut.
Dies war und ist auch den lokalen Politikerinnen und Politikern, der Stadtverwaltung, der Zivilgesellschaft sowie den Fachkräften und Einrichtungen der Sozialen Arbeit durchaus bewusst. Dennoch gab es seit dem Jahr 2011 keinen expliziten Armutsbericht für Regensburg mehr. Der „Sozialindex“ und das „Sozial- und Demografiemonitoring 2023“ gaben zwar ebenso fundierte wie interessante Einblicke in die sich wandelnde Sozialstruktur Regensburgs, aber als „Armutsberichte“ waren sie weder vorgesehen noch ausdrücklich konzipiert. Dieser Mangel an Armutsberichterstattung, wurde über die Jahre immer deutlicher. Informationen und Daten zu diesem Bereich wären für die Stadt- und Sozialplanung und für die Praktikerinnen und Praktiker des Sozialsektors jedoch von großer Bedeutung.
Bei einem Treffen des „Forums gegen Armut“ mit zwei Mitgliedern der Fakultät „Sozial- und Gesundheitswissenschaften“ der OTH Regensburg im Jahr 2023 wurde dieser Mangel diskutiert und beschlossen, eine Initiative für die Neuauflage des Armutsbericht zu starten. Die Stadt Regensburg willigte schnell in diesen Vorschlag ein und unterstützte das Vorhaben mit Daten, Zugang zu Interviews und einer finanziellen Beteiligung. Auch die OTH Regensburg und die Fakultät „Sozial- und Gesundheitswissenschaften“ sicherten ihre Hilfe zu und begleiteten das Projekt seit 2023 mit großem Engagement, Rat und Tat. Eine Vielzahl an Ämtern, Behörden, Initiativen, Unternehmen, Trägern und Einrichtungen stellten Daten und Wissen zur Verfügung, die den Bericht enorm bereichert haben. Großzügige finanzielle Unterstützung kam vom Rotary Club Regensburg-Millennium, der Sanddorf-Stiftung und der Caritas Regensburg.
1 Handelsblatt 2025: Städteranking 2024. In welchen deutschen Städten lebt es sich am besten? (https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/staedteranking-2024-in-diesen-deutschen-staedten-lebt-es-sich-am-besten-03/100023346.html?_gl=1*1qo8574*_gcl_au*MTM5Njc3NTk2NC4xNzMyNTQ1NjE0; Zugriff: 06.04.2025).
Armutsberichte sind in deutschen Großstädten inzwischen keine Seltenheit, sondern werden ganz im Gegenteil regelmäßig aufgelegt. Sie sind ein wichtiger Bestandteil der Sozialberichterstattung. Diese Berichte erfüllen dabei zwei Funktionen:
Primär bieten sie eine Sammlung und Zusammenführung von Daten und Informationen über das Armutsgeschehen in der jeweiligen Stadt. Sie verschaffen einen Überblick über die Entwicklung im Zeitverlauf und über besonders betroffene Gruppen und Regionen im Stadtgebiet.
Neben der reinen Informationsebene für die Politik und die Stadtgesellschaft können solche Berichte auch für die Stadt- und Sozialplanung genutzt werden, z.B. um die soziale Infrastruktur und die Maßnahmen der Stadt zu evaluieren und Angebote anzupassen oder erst auf den Weg zu bringen.
Der vorliegende Armutsbericht hat das Ziel, Armut in Regensburg aus einer multidimensionalen Perspektive sichtbar zu machen und eine Grundlage für kommunalpolitische und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse zu schaffen. Dabei soll er u. a. politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern helfen, die drängenden sozialen Herausforderungen der Stadt besser zu verstehen und Handlungsmöglichkeiten zu identifizieren, die eine sozialere Stadtentwicklung ermöglichen.
Um jedoch nicht bei Zahlen stehen zu bleiben, wurden zusätzlich Interviews geführt – zum einen mit Menschen, die selbst von Armut betroffen sind; zum anderen mit Fachkräften aus Stadtverwaltung, Behörden, sozialen Einrichtungen, Initiativen und dem Ehrenamt. Diese Gespräche ermöglichen einen unmittelbaren Blick auf die Lebensrealitäten von Menschen in prekären Lagen – auf ihre Erfahrungen, Herausforderungen und alltäglichen Bewältigungsstrategien. Zugleich geben sie Hinweise darauf, wie das Hilfesystem wahrgenommen wird: wo es trägt, wo es nicht erreicht, wo Hürden bestehen.
Der Bericht spricht somit nicht nur über Armut, sondern lässt diejenigen zu Wort kommen, die ihr täglich begegnen – in der eigenen Lebenswirklichkeit oder in der praktischen Arbeit. Die Verbindung von Zahlen und Stimmen macht deutlich, dass Armut kein Randphänomen ist, sondern tief in den Alltag eingreift: Sie betrifft das Wohnen, die Bildungschancen, die Gesundheit – und oft auch das Gefühl, Teil der Gesellschaft zu sein.
Neben der Datensammlung zum Armutsgeschehen in der Stadt Regensburg wurde eine Sozialraumanalyse durchgeführt, mit deren Hilfe die Möglichkeiten einer sozialräumlichen Ausrichtung der Hilfestrukturen ausgelotet werden.
Eine letzter und wichtiger Mosaikstein waren eine Vielzahl von Bachelor- und Masterarbeiten von Studierenden der Fakultät „Sozial- und Gesundheitswissenschaften“ der OTH Regensburg, die ebenfalls ihren Weg in den vorliegenden Bericht gefunden haben. Die Studierenden haben mit ihrem Engagement einen erheblichen Beitrag zum Gelingen des Vorhabens geleistet.
Die Kombination aus statistischen Daten, qualitativen Einblicken und sozialräumlicher Perspektive ermöglicht es, nicht nur die Auswirkungen von Armut auf die Lebenslagen der Betroffenen darzustellen, sondern auch Potenziale in Form von Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der Lebenssituation von Armutsbetroffenen aufzuzeigen. Ziel ist es somit, Regensburg nicht nur als Schauplatz sozialer Ungleichheiten zu betrachten, sondern als Ausgangspunkt für zukunftsorientierte Lösungen. Der Bericht möchte schlussendlich nicht nur Probleme dokumentieren, sondern einen Beitrag zum Diskurs und zur Entwicklung konkreter Strategien leisten, um Armut wirksamer zu bekämpfen und damit eine chancengerechte Stadtgesellschaft zu fördern.
In den Vorbesprechungen und ersten Interviews mit der Stadtverwaltung, ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern und vielen Fachkräften wurde deutlich, dass zwei Themen den Sozialsektor der Stadt besonders beschäftigen: Altersarmut und Einsamkeit. Der vorliegende Bericht hat diese Besorgnis aufgegriffen und befasst sich (wo möglich) vertieft mit dem Thema Altersarmut.
Das theoretische Fundament: Da sich das Team des Armutsberichts sehr schnell darüber im Klaren war, nicht nur auf Tabellen und Statistiken zu setzen, war es umso erforderlicher, einen theoretischen Rahmen zu setzen. Dieser stützt sich in weiten Teilen auf den Capability Approach des Nobelpreisträgers Amartya Sen. An dessen Theorie der Gerechtigkeit und Verwirklichungschancen orientiert, wurden die Dimensionen der Armut gewählt, die in Teil II des Berichts dargestellt werden. Nach kurzen Übersichten über die verwendeten Methoden und zur Sozialstruktur der Stadt Regensburg, wendet sich der Bericht der ersten Dimension zu.
Diese ist – für einen Armutsbericht wenig verwunderlich – die finanzielle Dimension. Sie umfasst die Fragen nach „Geld und Arbeit“: nach Einkommen, Erwerbslosigkeit und Sozialleistungen – also danach, wie, womit und unter welchen Bedingungen Armutsbetroffene ihren Lebensunterhalt sichern (können) – und ob dies gelingt. Ein eigener Abschnitt widmet sich zudem dem Thema Überschuldung – einem Problem, das Armut nicht nur häufig begleitet, sondern sie auch verfestigen kann.
Die zweite Dimension ist dem Bereich Wohnen gewidmet. Einem umfassenden Überblick hierzu folgen Abschnitte zu Unterstützungsleistungen und den Herausforderungen der Obdachlosigkeit. Daran schließt eine sozialräumliche Untersuchung zum Thema Segregation an. Hier werden auch die Potenziale einer sozialräumlichen Perspektive vorgestellt.
Im Rahmen der dritten Dimension nimmt sich der Bericht dem Thema Bildung an. Unter dieser Rubrik werden Bildungsabschlüsse, Arbeitsmarktintegration und Schulabschlüsse im Zusammenhang mit Armutsgefährdung diskutiert.
Der Bereich Gesundheit markiert die vierte behandelte Dimension. Hier werden Fragen der körperlichen und psychischen Gesundheit behandelt, ebenso die spezifischen Probleme im Zusammenhang mit Altersarmut, Gesundheit und Pflege.
Als fünfter Bereich wird die Dimension der Teilhabe thematisiert. Neben der politischen Teilhabe werden hier Aspekte der Mobilität untersucht, beispielsweise der Stadtpass. Analysen zur digitalen Teilhabe, die im 21. Jahrhundert von zentraler Bedeutung ist, schließen dieses Kapitel ab.
Das Thema Einsamkeit mit den psychosozialen und sozialpsychologischen Feldern der Scham, des Rückzugs und der Unsichtbarkeit bilden den Abschluss der theoriegeleiteten Untersuchungen dieses Berichts.
Am Anschluss hieran werden Grenzen und Möglichkeiten der kommunalen Armutsbekämpfung diskutiert und eine Liste mit Handlungsempfehlungen vorgestellt. Die aus unserer Sicht großen Potenziale einer zukünftigen sozialräumlichen Auseinandersetzung mit der Armutsfrage auf kommunaler Ebene schließen die Analyse ab.
Das Fazit bietet ein Resümee der Berichtsarbeiten, der erarbeiteten Erkenntnissen sowie der identifizierten Lücken, die noch zu füllen sind und gibt eine Empfehlung für die weitere Entwicklung der Armutsberichterstattung in Regensburg.